Prägende Kindheit

 

Prägende Kindheit

 

1953

 

Große verweinte Augen voller panischer Angst, eine kleine zitternde Hand, erhoben, als besäße sie die Kraft, die niederprasselnden Schläge des gemein zischenden Rohrstocks abzufangen ...

„Nein - ... bitte - ich will lieb sein!“

Stammelnd vor Schmerz flehte der kleine Mund um Scho­nung, doch umsonst.

Erst als die Kraft der Frau zu erlahmen schien, ließ sie von der weinenden Tochter ab.

„Du bist schuld, wenn ich vor Aufregung sterbe“, hart kamen die Worte aus dem Mund der hübschen, aber sehr mageren Frau.

Ralf und Martin saßen ganz still in einer Ecke des riesig anmutenden Zimmers der Altbauwohnung.

„Nur nicht rühren, denn dann sind wir auch dran“ schoss es dem neunjährigen Ralf durch den Kopf, während er voll Mitgefühl auf das wimmernde Bündel blickte, das vor keuchendem Schluchzen kaum atmen konnte.

„Und warte nur, wenn Vati kommt ... “ Mit diesen Worten verließ die junge Frau das Zimmer.

„Komm Susi, leg dich aufs Bett“

Ralf umfasste seine kleine Schwester und zog sie hoch. Schaudernd sah er die roten Striemen, die sich an den Bei­nen und Armen fast fingerdick abhoben. Oh, wie gut wusste er, welche Schmerzen das bereitete. Wie oft hatte er das schon ertragen müssen.

Und das Schlimmste kam erst noch. Er wusste, wie es ablief.

Wenn Vati kommt, wird Mutti wieder einmal wie tot auf dem Sofa in der Wohnküche liegen und auf seine Frage nur hauchen „ ... die Kinder ... schrecklich ... “ Und dann würde Vati mit dem Stock ins Zimmer kommen ...

Martin in seiner Ecke bewegte sich noch immer nicht. Mit seinen fast drei Jahren blickte er voller Angst auf die Tür. Auch für ihn war die Erinnerung an die grausamen Schläge noch greifbar nahe und manchmal wusste er gar nicht, warum er Schläge bekam, sie kamen aus heiterem Himmel. Nein, nichts rührte sich mehr. Susi versuchte ganz still zu liegen, dann tat alles nicht mehr so weh, die Augen geschlossen, als blieben der Schmerz und die Angst draußen vor der Tür. Ein Rauschen in den Ohren umfing sie wie Wellen an der Odeborn - dem kleinen Flüsschen ihrer Stadt. Ein Beben durchlief den kleinen Körper ... ein Schluchzen ... dann umfing ein gnädiger Schlaf das Mäd­chen, das gar nicht wusste, warum und wieso. Noch lange durchlief ein schluchzender Schauer den kleinen, schla­fenden Körper.

Ralf verstand wieder einmal nicht, wie ein umgefallener Becher Milch so schlimm sein konnte. Was hatte sie verbrochen? Aber hatte er sich nicht schon so oft vergeb­lich die Frage nach dem Warum gestellt ... Er konnte kei­nen Menschen fragen. Man sprach nicht mit anderen dar­über, was zu Hause passierte.

„Wer schlecht über seine Eltern redet, ist ein Nestbe­schmutzer und verdient es nicht, in einer Familie zu leben ... “ ‑ die Lektion war ihm schon vor Jahren eingebläut worden.

Er setzte sich an den großen Tisch im Kinderzimmer, wagte nicht, sich zu rühren, und wartete auf den nun fol­genden Abend. Was würde sein …?

 

Hastig atmend, röchelnd durch den Qualm der brennen­den Stadt hetzend, immer wieder um Atem ringend, Sekun­den verschnaufend … „.ich muss weiter“… alles rannte, hetzte, schrie… Da ‑ ruckartig blieb die junge Frau stehen … ein Wimmern, ein Schrei, noch einer … so anders als das wogende, gleich bleibende Geschrei der rennenden Menschen … und wieder, so klagend, so ergreifend … sie stand und blickte zurück. „Ich muss helfen … ich bin gemeint“, schoss es ihr durch den Kopf ... Ich werde gerufen!“

Doch die eigene Angst übermannte sie, hilflos schrie nun auch sie …

 

„Susi, Susi, wach auf, aufwachen bitte, du träumst, es ist doch nur ein Traum!“ Ralf hob das schluchzende Kind, das immer nur „Feuer, das Feuer, ich muss zurück …“ stam­melte, aus dem Bett. Müde und erschöpft war er und verstand nicht, dass weder Amelie noch Mathias etwas mitbekommen hatten von dem Schreien des kleinen Mäd­chens. Beruhigend sprach er auf die fast fünf Jahre jüngere Schwester ein, legte sie wieder hin und deckte sie zu. I­mmer wieder strich seine kleine Bubenhand über ihre Haare, bis sich das Schluchzen im tiefen Atem des Schla­fes verlor. Ralf war noch lange wach. Es machte ihm Angst, wenn seine kleine Schwester so schrie und er nicht wusste, wie sie so etwas träumen konnte. Am nächsten Tag konnte sie sich meistens nicht erinnern, er hatte sie ei­nige Male gefragt, aber sie sah ihn oft nur verständnislos an. Doch einmal meinte sie „Ralf, ich weiß, dass ich da weglaufe, weil ich Angst habe vor dem Feuer. Ich war da schon.“ „Wo warst du schon?“ „Na da, wo das Feuer ist.“

Erst gegen Morgen zeugten gleichmäßige Atemzüge da­von, dass alle wieder fest schliefen.

 

                                          *

 

Ganz aufgeregt liefen die größeren Kinder neben Brun­hilde her, Martin saß in seinem Kinderwagen. Die stäm­mige Vierzehnjährige war zur Unterstützung der Hausfrau in den Haushalt gekommen, denn Amelie erwartete wieder ein Kind. Sorgen machten sich breit, denn die Kraft und das Geld reichten ja so kaum und nun noch mehr Arbeit, noch ein hungriges Mäulchen zu stopfen.

Die Geburt stand unmittelbar bevor und die Kinder waren mit der jungen Hilfe zum Spaziergang geschickt worden.

„Brunhilde, was meinst du werden wir bekommen, einen Bruder oder eine Schwester?“ Der fast neunjährige Ralf blickte sie gespannt an.

„Ach Ralf, das müssen wir dem lieben Gott überlassen, was er schickt.“

„Aber Mutti und Vati wollen wieder ein Mädchen, schon bei Martin hatten sie gesagt, es sollte eine Beate werden.“

„Das kann man sich nicht aussuchen, wir sind sieben Kin­der und da hat auch niemand gesagt, was wünscht ihr euch, es kommt, wie es kommt.“

„Brunhilde, wie groß ist denn so ein Baby, wenn es aus dem Bauch kommt?“ Susi hoffte so sehr auf Puppengröße und war beglückt über die Antwort:

„So groß ungefähr war mein kleiner Bruder“, deutete das erfahrene Mädchen mit den Händen ungefähr fünfzig Zen­timeter an.

„Oooh jaaa, dann passt es ja in mein Puppenbett!“ Susi bekam ganz heiße Wangen vor Aufregung. „Ach, wann ist es denn soweit?“ „… soweit?“, echote Martin aus seiner Kinderkarre heraus, in der er gut abgeschirmt war vor Re­gen und Wind, durch ein großes Regencape, wie es auch die beiden älteren Kinder trugen, denn der Eintritt des neuen Erdenbürgers in sein Leben wurde von wechseln­dem Aprilwetter begleitet.

„Wir gehen noch mal zu Hause vorbei und fragen nach.“ Brunhilde war schon bei ihrer Familie mit den Kindern gewesen, weil das stundenlange Herumlaufen doch alle sehr ermüdete.

Tante Gitta, eine Schwester von Matthias, war zur Unter­stützung der Hebamme da. Der wieder einmal werdende Vater wollte auch bei dieser Geburt, wie bei den beiden letzten dabei sein. Ralfs Geburt erlebte er in Frankreich, als Funker im Schützengraben.

Und dann war es soweit. Staunend stand Susi so wie ihre Brüder vor diesem kleinen Bündel. Ganz vorsichtig be­rührte sie die winzigen Hände, streichelte den kleinen Kopf. Verzückt sah sie zu, wie der kleine Mann an die Brust der Mutter gelegt wurde und der vorher noch schrei­ende Mund sich um die stramme Brustwarze schloss und glucksende Geräusche anzeigten, dass Thommi, dessen Namen – Thomas ‑ Ralf ausgesucht hatte, zufrieden trank.

Susi konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als diese le­bende Puppe.

Ganz mucksmäuschenstill sah sie nun immer zu, wie der Kleine gewaschen, gebadet und gewickelt wurde, mal von Mutti und abends auch von Vati. Auch Ralf durfte dabei schon mit­helfen. Wie sehr wünschte sie sich, dieses kleine Bündel mit ins Kinderzimmer zu nehmen und in das große Pup­penbett zu legen, aber halten, ja, Thommi auf dem Schoß mal im Arm halten, das durfte sie. Fast hielt sie den Atem an, so nah waren sie sich da, fast eins. Ganz leise erzählte sie ihm kleine lustige Geschichten von Engeln und Feen und Wichteln … Stumm, in Gedanken nur sprechend, Zwiesprache haltend im tiefsten Innern mit diesem winzi­gen Menschen, der mit seiner ganzen Kraft ihren kleinen Finger umschlossen hielt, dass es die kleine, vierjährige Susi manchmal schmerzte, doch ein süßer Schmerz, kaum, aber doch da … ja, manchmal meinte sie, diesen gar nicht mehr missen zu wollen. Und Leere breitete sich aus, wenn ihr der kleine Bruder wieder genommen wurde und die Wärme, die sich vorher so völlig ausgebreitet hatte, nun langsam wieder wich.

„Geh mal wieder runter.“ Amelie schob das kleine Mäd­chen vom Schoß, wohin dieses eben erst geklettert war. „Du bist mir zu schwer.“

Enttäuscht, aber gehorsam setzte sich das Kind nun neben sie auf die kleine Fußbank, auf die Amelie immer die Füße stellte, wenn sie den Kleinen stillte. Ganz vorsichtig lehnte sich Susi an das Bein der Mutter, voller Sehnsucht nach einer Umarmung oder einem Streicheln über die stramm geflochtenen Zöpfchen. Aber oft waren die kleineren Brü­der dichter dran. Immer wieder versuchte Susi, es der Mutter recht zu machen. Von Natur aus ein stilles Kind, abwartend, beobachtend, war ihr innerstes Bestreben zu gefallen, Anerkennung zu erwerben, keinen Fehler zu machen, zu erkennen, was der Mensch gegenüber von ihr erwartete, wurde sie doch sogar von ihrer Mutter bei einem Besuch bei Bekannten einmal einfach vergessen, weil sie sich ganz still in eine Ecke verkrochen hatte, um nur nichts falsch zu machen.

Zum Glück war da abends und am Sonntag noch der Va­ter. Wie oft saß sie auf seinem Schoß, wie oft bürstete er ihr die Haare, gerade nach dem Baden war das normaler­weise eine Tortur, wenn die bis über den Po wallende, frisch gewaschene Mähne auseinander gekämmt werden musste. Doch da entwickelte er Geduld und Fingerspitzen­gefühl. Sicher hatte Amelie sich in früheren Jahren auch geduldiger zeigen können, doch ihr wuchs die Arbeit über den Kopf, hinzu kam das immer recht karge Essen, wie sie es aus ihrer Kindheit und Jugend nicht kannte. Bei aller Strenge, Matthias liebte seine Kinder und dieses kleine an­schmiegsame Mädchen ganz besonders; wenn sie sich an ihn kuschelte, genoss er die Wärme und vergaß die immer mehr wachsende Kälte seiner Frau.

Wie sehr liebte er diese junge Frau, die, obwohl noch im­mer sehr hübsch, abgemagert und sorgenvoll aussah. Und daran gab er sich die Schuld. Natürlich hatten sie sich viele Kinder gewünscht, aber nicht voraussehen können, mit welchen Schwierigkeiten sie nach dem Krieg würden kämpfen müssen. Er versuchte, ihr das Leben zu erleichtern, indem er nach seiner Büroarbeit im Haushalt mit anpackte. Er wi­ckelte, badete, fütterte die Kinder, half bei der übrigen Hausarbeit und arbeitete hart in dem kleinen Garten, den sie hatten. Und doch hatte er immer das Gefühl, dass sie ihn klagend ansah, sich von ihm zurückzog. Und die Ge­meinsamkeiten im Bett gingen immer von ihm aus und wurden von ihr nur geduldet, es waren ja eheliche Pflich­ten, aber diese machten ihr gar keine Freude, ganz im Ge­genteil, sie versuchte immer den Umarmungen zu entge­hen, mit Hinweis auf die Kinder, Kopf- oder Unterleibs­schmerzen, so dass er sich schon sehr fordernd vorkam. Aber er war doch noch jung, gerade erst sechsunddreißig Jahre alt und hatte seine Wünsche, seine Gefühle und sein Begehren. Auch fiel ihm von Zeit zu Zeit ein, was sie ihm angetan hatte, damals, als er aus der französischen Kriegsgefan­genschaft heimkam … Seine Gedanken bissen sich immer wieder daran fest, besonders schlimm war es, wenn er mühsam zur Arbeit hinkte und ihn Gleichaltrige, Ältere und Alte schnellen Schrittes überholten, ja, dann überkam ihn auch oft hilflose Wut, Enttäuschung und tiefster seeli­scher Schmerz. So wurde er auch mal aufbrausend und un­gerecht allen gegenüber, was er hinterher bitter bereute. Aber schnell schüttelte er alles wieder ab, denn seine ab­hängige Liebe überwog.

                                   *

 

Erwartungsvoll sah Susi aus dem Fenster des Zuges, der gemächlich vor sich hin prustend den Weg durchs Sauer­land suchte.

Ganz aufmerksam beobachtete sie die Menschen an den Bahnsteigen. Menschen, die lachten, die weinten, sich um­armten.

Was kam auf sie zu?

Ihr heiß geliebter kleinster Bruder war schwer krank. Thommi war in ein großes Krankenhaus nach Siegen, viele Kilometer entfernt, gekommen und Mutti war mitgegan­gen, um ihm wenigstens die so sehr wichtige Muttermilch zukommen zu lassen. Amelie konnte bei ihrer Mutter wohnen und lief täglich von dort aus quer durch die Stadt, ein Weg, der über einige Hügel führte und ihr viel Kraft abforderte. Weder Matthias noch der Arzt hatten ihr wirk­lich Mut gemacht, aber sie musste beweisen, dass dieses Kind überlebte, weil sie sich die Hoffnung nicht nehmen lassen wollte.

Ich fahre zu Tante Maria und Onkel Norbert, dachte Susi aufgeregt. Wie wird das sein? Ich kenne die doch gar nicht mehr, erinnere mich nicht. Aber Vati sagte, die freuen sich schon. Also saß sie ganz still; die vielen Stunden der Fahrt waren nicht schlimm. Sie hielt ihre Puppe Elisabeth ganz fest an sich gedrückt.

Da schaute auch schon Onkel Adolf wieder in ihr Abteil.

„Nun, Prinzessin, alles in Ordnung?“

„Alles in Ordnung“, flüsterte sie.

Er strich ihr über die dicken blonden Zöpfe und lächelte. Welches Glück, dass er als Schaffner auf dieser Strecke Dienst hatte. So konnte er die Süße begleiten, immer wie­der nach ihr schauen. So hatte er es mit Susis Eltern be­sprochen, da beide ja unabkömmlich waren.

„Nie würden wir unsere kleinen Kinder auf so eine lange Reise schicken“, schoss es ihm durch den Kopf. „Warum konnte sie nicht auch zu Hause bleiben?“ Er liebte dieses völlig problemlose Kind, das sich immer so selbstver­ständlich in alles fügte. Zwar wusste er, dass gerade Susi von allen Verwandten bevorzugt wurde, weil sie so un­problematisch war, denn auch bei ihnen hatte das Kind schon mal geschlafen, aber auch der ältere, sehr vernünf­tige, blitzgescheite Ralf war immer gern gesehen. Martin war noch klein und genau so alt wie Christine, seine und Erikas Tochter, aber gefürchtet waren seine Wut- und Trotzattacken.

Oft hatte er seiner Frau gesagt, sie solle etwas unterneh­men, etwas sagen, denn sie hatten schon häufiger mitbekommen, dass die Kinder wahnsinnig streng erzogen wurden. Seine Frau Erika war sicher auch noch etwas strenger oder konsequenter als er, aber was diesen Kindern durch die Schläge und Drohungen angetan wurde, fand auch sie nicht ganz in Ordnung.

„Amelie ist überfordert ... sie ist meine beste Freundin ... ich kann nichts sagen ... “, so entschuldigte sie die Freundin immer wieder.

Nun war er froh, dass sein kleiner Liebling zum Onkel fuhr.

Er wusste von diesem nur, dass er sehr kinderlieb war und der Bruder von Susis Vater.

 

Susi winkte dem Zug nach und dem entschwindenden On­kel, den sie von klein auf kannte.

An der Hand von dem neuen Onkel Norbert war alles gar nicht schlimm. Sie erinnerte sich nicht mehr an die Besu­che von Onkel Norbert und seiner Frau, die immer mal wieder stattgefunden hatten, und doch war er ihr gleich vertraut.

Voller Liebe schaute er die Kleine an und sagte: „So, Püppi, nun laufen wir nach Hause. Tante Maria wartet schon.“

Nach einem halben Kilometer merkte er, wie langsam und müde das Kind wurde. So nahm er sie auf den Arm und trug sie nach Hause, in der anderen Hand das kleine Köf­ferchen mit der Kleidung des Kindes.

Tante Maria war neben ihrem hoch gewachsenen schlan­ken Mann eine kleine, mollige Frau. Mit ausgebreiteten Armen schnappte sie die Nichte vom Arm ihres Mannes, bedeckte ihr kleines müdes Gesicht mit vielen Küssen.

„Ach mein Schätzchen, wie schön, dass wir dich endlich hier haben. Anne wird sich freuen!“

Anne? Wer ist Anne, überlegte Susi ... wie wohl fühlte sie sich ‑ wie müde war sie ... wie schön war die Wohnung …

Sie merkte nicht mehr, wie sie ausgezogen und ins Bett gelegt wurde, sie schlief schon tief und fest.

Es fiel auch keinem auf, wie immer wieder ihr Onkel an ihrem Bett saß, die zarten, geröteten Wangen streichelte ... das Kind wieder zudeckte, wenn die Decke verrutschte … außer Susi, die von Zeit zu Zeit aus dem Tiefschlaf auf­tauchte und die Wärme und Zärtlichkeit fühlte, die sie wieder einhüllend in die Traumwelt gleiten ließ.

 

                                      *

 

„Komm, Püppi, geh mal in diese Richtung und richtig freuen ... “

Ganz stolz, dass sie gefilmt wurde, bewegte sich Susi auf ihren Onkel zu, der ihr immer wieder Anweisungen gab ... „Jetzt schau zur Tür, lach mal ... wink mir ... “

Ganz heiß vor Liebe zu dem kleinen Mädchen konnte Norbert gar nicht genug bekommen ... Fotos – Filme mit seiner Schmalfilmkamera ...

„Nun ist genug, komm, Susi, ich helfe dir beim Anziehen.“

Er trug die Kleine ins Schlafzimmer, bedeckte mit vielen kleinen, schnellen Küssen den vierjährigen, nackten Kin­derkörper. Susi strahlte. Wie schön war alles. Keine Schläge ‑ nur freundliche Worte. Und das Allerschönste ‑ sie hatte ein Geheimnis mit Onkel Norbert. Immer sams­tags, wenn Anne zur Schule war und Tante Maria einkau­fen ging, durfte sie bei ihm bleiben. Auch wenn Maria eine der zahlreichen Freundinnen oder ihre Geschwister be­suchte, ließ sie gerne das Kind bei ihrem Mann und nahm nur die ältere Anne mit, weil sie bei den ersten Besuchen gemerkt hatte, dass Susi den Trubel, der bei ihren zahlrei­chen Nichten und Neffen herrschte, nicht so sehr mochte.

„Und dann hat er nur Zeit für mich ... “, lächelte Susi in sich hinein.

„Wir machen eine große Überraschung für Tante Maria“, hatte er gesagt, „du darfst es keinem verraten. Es ist unser riesengroßes Geheimnis!“

Nein, Geheimnis bedeutete, kein anderer durfte es erfah­ren. Mit keinem darüber sprechen. Wie gerne sie das ver­sprach. Sie kam sich so wichtig vor. Und dann ein Ge­heimnis, eine Überraschung für Tante Maria … wie gerne wollte sie diese Frau mit etwas Schönem überraschen, diese liebevolle Frau, die sie immer wieder auf den Schoß nahm, mit Küsschen überschüttete, die ihr immer neue Fri­suren mit schönen Spangen und Schleifen machte, die sie immer beim Kochen zuschauen ließ und so viel Fleisch für sie kochte und briet … Susi kam es wie im Märchen vor, wenn Tante Maria um sie herum war.

Und mit diesem großen Mann, dem sie so sehr vertraute, konnte sie über alles reden.

Norbert räumte alle seine Utensilien auf ... Er wurde kaum Herr seiner Erregung. Was gab es Schöneres, als die klei­nen Kinderkörper, das Vertrauen in den Augen, die Liebe in den strahlenden Augen. Aber er musste vorsichtig sein ‑ niemand durfte je von seiner verhängnisvollen Liebe zu Kindern erfahren. Dieses Kind bedeutete ihm alles. Wie so oft nahm er Susi in den Arm, setzte sie auf seinen Schoß ... inzwischen wieder voll bekleidet.

„Onkel Norbert?“

„Ja, Püppi!“

„Du haust mich wohl nie?“

„Aber nein ... warum sollte man denn ein so hübsches kleines Mädchen hauen?“

Er drückte die Kleine an sich ... nein, das verstand er nicht... schlagen? Wieso? Für ihn bedeuteten die weichen Kin­derarme, der unverbrauchte Mund, die duftende Haut nur wunderbare Erregung und...

Ruckartig setzte er das Kind ab, als ein vertrauter Klin­gelton erklang.

„So mein Liebes, Tante Maria kommt nach Hause. Jetzt packen wir unser Geheimnis wieder ganz tief in unser Herz.“

Natürlich lächelte Susi und hauchte... „ja, unser Geheimnis, das ist eine Überraschung!“

„Hallo, ihr Lieben!“ Maria kam fröhlich mit Anne in die Wohnung, deren Tür Norbert gerade noch entriegeln konnte.

„Schau mal Süße, was ich alles eingekauft habe!“

Die Zunge zwischen den Lippen half Susi jetzt beim Aus­packen.

„Oh, Tante Maria, was ist das denn?“

„Mach mal die Augen zu und Mund auf“

Aufgeregt folgte sie sofort den Worten. Lächelnd schob die kleine rundliche Frau dem Kind ein Brausebonbon in den Mund.

„Uiii…“ Susi riss die Augen auf ... das kribbelte und pri­ckelte so ... hmmm ... und sauer war es auch noch … sie liebte diese Köstlichkeiten. Zu Hause war das Geld immer sehr knapp. Für Leckereien war selten etwas übrig. Nor­male Bonbons mochte Susi auch gar nicht. Süß war ihr ein Gräuel. Vatis Eukalyptusbonbons, ja, die schmeckten ihr auch, waren sie doch ein wenig scharf und krochen mit dieser Schärfe bis in die Nase. Tante Maria hatte schnell mitbekommen, dass sauer und deftig für Susi das Schönste war. Kein Keks, kein Kuchen konnten sie besonders zum Lächeln bringen. Aber wenn sie eine saure Gurke bekam oder ein Stück Fleisch auf dem Teller lag, dann strahlte dieses Kind so anrührend ... Nachdenklich blickte das Ehepaar auf die spielenden Kinder. Norbert nahm die Hand seiner Frau und drückte sie.

„Kannst du dir vorstellen, dass Matthias und Amelie ihre Kinder so schlagen?“ Maria war immer wieder ergriffen von dem „Geplapper“ ihrer Nichte. Wenn die beiden Mäd­chen mit Annes Puppenhaus und den Puppen spielten, lebten die Bilder aus Susi Elternhaus auf. Erschüttert hat­ten anfangs die beiden Erwachsenen zugehört, wenn die Ängste des Kindes sich im Spiel spiegelten. Da waren die beiden Mädchen, bezaubernd die zehnjährige Anne ... ein Strahlenkranz von hellen kleinen Löckchen umgab ihr Gesicht. Ein lockiger Pferdeschwanz wippte bei jeder Be­wegung. Und daneben die kleine Susi, ein so strahlendes Kind mit den dicken, schweren blonden Zöpfen. Immer ein fragendes Lächeln im Gesicht. Sie sprach nicht viel, zog sich oft stundenlang mit den Puppen oder den Bilderbü­chern in Annes kleines Spielzimmer zurück, man merkte sie nicht. Jede Anordnung wurde sofort befolgt, kein Quengeln, kein Schmollmund, wie Anne es so hervorra­gend beherrschte ... Welchen Grund gab es, so ein Kind für etwas zu bestrafen?

Maria dachte an den Vater ihres Kindes, den sie im Krieg verlor.

Als sie Norbert kennen lernte, war sie gleich gefangen von der Liebe, mit der er ihre kleine Tochter überschüttete. Welches Glück hatte sie in den letzten Jahren erleben dür­fen. Blind vor Liebe bemerkte sie nicht, welcher Art die Liebe ihres Mannes zu Kindern war.

„Meinst du nicht, wir könnten sie ganz hier behalten?“ Ganz leise kam die Frage über ihre Lippen, wusste sie doch, wie sehr er sich noch ein Kind wünschte. Aber sie war nicht wieder schwanger geworden und hatte immer ein schlechtes Gewissen ihm gegenüber.

„Ich werde mit Mathias sprechen. Wenn es so schlimm bei denen zugeht, sind sie sicher froh, wenn ein Esser weniger im Haus ist.“ Norbert dachte, so würde es sein und es gäbe sicher keine Probleme.

 

Hastig atmend, röchelnd durch den Qualm der brennen­den Stadt hetzend, immer wieder um Atem ringend, Sekun­den verschnaufend … „Ich muss weiter“… alles rannte, hetzte, schrie… Da ‑ ruckartig blieb die junge Frau stehen … ein Wimmern, ein Schrei, noch einer … so anders als das wogende, gleich bleibende Geschrei der rennenden Menschen … und wieder, so klagend, so ergreifend … sie stand und blickte zurück. „Ich muss helfen … ich bin gemeint“, schoss es ihr durch den Kopf ... „Ich werde gerufen!“

Doch die eigene Angst übermannte sie, hilflos schrie nun auch sie …

 

„Susi, Schätzelein ... wach auf ... Püppi ... “ Erschüttert um­fing die warme Nähe der runden Frau das bebende Kind ... Angstvoll klammerte es sich an die Tante. „Aber ich ver­brenne, alle brennen ... Angst ... ich muss doch zurück ... helfen, sie ruft mich doch …“, stammelnd und keuchend kamen immer wieder diese Worte über die zuckenden Lippen.

Hilflos schaute Maria ihren Mann an:

„Was machen wir nur?“ Er streckte die Arme aus, umfing den von Schluchzen geschüttelten Kinderkörper und ging hin und her, summte eine Melodie, streichelte immer wie­der den Kopf, den Rücken des kleinen Mädchens ... Ganz allmählich beruhigte sich der Atem des Kindes, ab und zu noch ein qualvoller Schluchzer ... ermattet, erschöpft lag die Kleine nun still in seinen Armen ... klammerten die kleinen Finger aber noch an seinem Ärmel ...

„Immer wieder diese Träume, was machen wir nur mit dem Kind, das ist doch nicht normal.“

Maria saß am Tisch, die Hände hielten die Hand ihres Mannes fest, „Wir müssen etwas unternehmen!“

Er schüttelte den Kopf. „Aber du hast doch gehört, die Träume drehen sich um Dinge, die kann sie nicht kennen. Wenn sie nur mehr darüber sprechen würde ... Vielleicht könnten wir dann etwas herausfinden.“

„Komm, trink deinen Tee aus, wir gehen wieder schlafen.“

Maria folgte ihrem Mann in ihr Schlafzimmer, wo ganz ruhig atmend das eben noch so voller Panik schreiende Kind lag und wieder einmal im Schlaf lächelte. Lange konnte Maria nicht einschlafen ... lauschte dem leisen At­men des Kindes, das nun im Arm des Onkels lag, der es hielt wie eine zerbrechliche Kostbarkeit. Auch er schlief nicht, wollte aber nicht, dass seine Frau dies bemerkte. Schauer durchliefen seinen Körper. Diese winzige Person an seiner Haut ... sein Atem ging schwerer ... ganz zart strichen seine schmalen langen Hände über die Konturen des … Halt ... Er stoppte sich selbst… nur den Geruch wahrnehmen, fühlen, begehren, verwöhnen ... mehr ge­stattete er sich nicht ‑ noch nicht?

Erst in den frühen Morgenstunden tickte der Wecker im Gleichklang mit dem Atem der drei Menschen.

 

„Susi, komm schnell, meine Oma hat schon Brötchen ge­holt.“ Marianne, die immer nur Anne genannt wurde, packte ihre kleine Kusine bei der Hand und zog sie aus dem Bett. Verschlafen blinzelte Susi.

Aber schon roch sie die herrlichen, frischen Brötchen, die es hier jeden Samstagmorgen gab. Oma Weber, wie sie sie nannten, hatte schon den Tisch gedeckt. In ihrer gemüt­lichen Küche schob sie nun das kleine Mädchen im Nacht­hemd neben ihre Enkelin auf das alte Sofa. Ja, das war eine Freude, die roten Wangen, die kleine Nase und vor allem dieses Lächeln. Immer ein wenig den Kopf zur Seite geneigt, ein wenig fragend, als hätte sie Angst, et­was falsch zu machen. Ach, hatte es ihre Enkelin da gut ... verwöhnt von Mutter und dem Stiefvater ... Wehmütig dachte sie an ihren verschollenen Sohn, Annes Vater ‑ nie hatte er sein Kind so erleben dürfen. Schnell wischte sie die aufsteigenden Tränen fort und lächelte tapfer die Kin­der an.

„Nun, schmeckt es dir?“ Susi nickte mit begeisterten Au­gen. Ach, das musste wie im Märchen von den Königen und Prinzessinnen sein ... jeden Tag so viel verschiedene Wurst ... und die Brote wurden nicht zusammengeklappt und Butter kam da drauf ... Susi kannte nur die Margarine ... aber die hatte wunderschönes goldenes Papier ‑ fiel ihr ein, das war auch sehr schön, schmeckte aber anders.

„Wo sind denn Mama und Papi?“, fragte Anne ihre Groß­mutter, denn es war ungewöhnlich, dass sie zum Frühstück nicht da waren.

„Die müssen zu einem Gespräch, kommen aber bald zu­rück.“

Nach dem Frühstück durften die Kinder mit den Spül­schüsseln spielen, Wasser wurde mit Seifenlauge ge­mischt, sie schlugen Schaum, „verkauften“ ihn als Sahne und Pudding an die geduldige Oma. Dann durften sie in ih­ren Schlafanzügen noch durch das große Haus tollen ... bis zu der Wohnung von Opa Ewers hoch. Ach, war der lieb ‑ kaum größer als Anne und rund wie eine Kugel.

Dem Vater von Maria gehörten das Haus und die anlie­gende Druckerei. Mit seiner großen Familie hatte er immer hier gelebt. Nun waren die Kinder ausgeflogen, nur seine Tochter Maria lebte mit ihrer Familie noch im Haus, was für ihn Beruhigung und Freude war.

Auch die anderen waren alle verheiratet und hatten selber Kinder. So viele Enkelkinder – er liebte es, wenn an Ge­burtstagen alle zusammen kamen und die Enkel um ihn herum tollten in wilden Indianerspielen.

Unten im Haus war ein großes Geschäft, das er vermietet hatte, eine Drogerie ‑ die Druckerei, die an das Haus angebaut war, lief nur noch im kleinen Rahmen, denn er war mittlerweile Rentner und hatte keinen geschäftlichen Nachfolger gefunden. Aber er war froh, mit seiner Tochter und ihrer Familie noch zu­sammen leben zu können.

Seine größte Freude waren nach wie vor seine Wan­derungen … stundenlang war er oft unterwegs. Große Touren bewältigte er zu Fuß, Menschen überraschend, an denen ihm etwas lag, die er gerne wieder sehen wollte. So war er schon in allen umliegenden Städ­ten gewesen, alles laufend, schauend und voller Freude erlebend.

Der kleine Mann begrüßte die Mädchen wieder mal mit einer kleinen Überraschung. Immer hatte er etwas zu er­zählen oder er nahm sie mit nach unten in seine Druckerei. Oft gingen sie in den Stadtpark, wo ihn jeder grüßte, denn er war bekannt und beliebt in der kleinen Stadt.

Für Susi war das eine neue Welt. Keiner schimpfte, keiner schlug sie, keiner zog an den Zöpfen, bis der Kopf fast platzte oder quälte sie, indem er die Puppen, ihre Kinder, aus dem Wagen schmiss, wie Martin es so sehr gerne tat ... Sie musste auch nicht ohne Essen ins Bett, wo dann der knurrende Magen sie nicht schlafen ließ. Mehr und mehr ge­rieten die Erinnerungen in Vergessenheit.

Susi lebte ... lebte endlich Kindheit ... lebte Liebe, Gebor­genheit ‑ sicher wurde sie auch von ihren Eltern geliebt, aber oft kam es ihr so vor, als wäre sie nur störend und mache alles falsch. So hatte sie sich sehr schnell ange­wöhnt, kleine Geschichten zu erfinden, um drohenden Schlägen zu entgehen, aber dann hieß es, das seien alles Lügen, und die Bestrafung fiel dann jedes Mal noch heftiger aus.

Ganz anders hier. Tante Maria hatte viel Zeit, denn bei nur einem eigenen Kind, einem gut verdienenden Mann, der immer vorhandenen Nähe von Vater und erster Schwie­germutter, die viel Zeit mit dem Enkelkind verbrachten, konnte sie sich häufig mit Freundinnen und Schwestern treffen, gemeinsame Kaffeekränzchen pflegen, Friseurbe­suche und Geschäftsbummel genießen. Sie war sehr fröhlich und ausgeglichen, verbrachte Stunden mit Susi, um Bücher vorzulesen, denn das Kind liebte vor allem die wunderbar bebilderten Märchen. Das kannte es auch von zu Hause, vorgelesen, gemalt, gebastelt und gesungen wurde da auch, aber eben mit allen Geschwistern, und hier fühlte sich Susi, als wäre nur sie da, denn Anne besuchte schon die Brabeckschule und war an den Nachmittagen oft bei Freundinnen oder Kusinen.

So schön waren dann auch die Stunden mit Onkel Norbert, wenn Maria das Haus für Besuche oder Einkäufe verließ, vertrauensvoll das Kind bei dem geliebten Mann lassend, es in bester Obhut wähnend, konnte sie doch nicht ahnen, was in diesem Menschen vor sich ging, der immer wieder die Nähe der Kinder suchte. Niemand störte sie dann ... er hielt und wiegte sie in seinen Armen, streichelte sie, küsste sie, kraulte sie, bis sie kicherte, denn manchmal kitzelten die Stellen, die er berührte ... er filmte sie und machte unzählige Fotos von ihr; die sie nie zu sehen bekam, aber was wusste dieses kleine Mädchen denn schon von den Abgründen einer kranken Seele, sie fühlte sich wichtig, denn sie hatten ja ihr großes Geheimnis, was er auch immer und immer wieder betonte.

 

                                              *

 

„Oh, Tante Maria, mein Kopf tut so weh und mein Hals, ich kann gar nicht schlucken.“ Dicke Tränen rollten dem Mädchen die Wangen runter. Erschrocken bemerkte nun ihre Tante auch das unnatürlich gerötete Gesicht.

„Komm mal zu mir, mein Mädchen“, und schon zog sie Susi auf den Schoß.

Erschrocken hielt sie die Luft an, das Kind glühte ja. Ganz schnell legte sie die Kleine aufs Sofa, zog sie aus, das warme Nachthemd an und wickelte sie in warme Decken. Schnell legte sie noch dem fiebernden Kind einen feuch­ten, kalten Waschlappen auf die heiße Stirn und mit den Worten „ich bin gleich wieder da!“; lief sie zur Oma rüber. „Mutter, schnell, bitte setz dich mal zu Susi, sie fiebert, ich will ganz kurz  runter in die Druckerei und mit dem Doktor telefo­nieren.“

Es dauerte gar nicht lange, da kam der langjährige Haus­arzt, der Maria und ihre Geschwister von Kindesbeinen an kannte.

„Nanu, wen haben wir denn da?“ Seine etwas polterige Art war aber dennoch fürsorglich und machte Susi keine Angst, viel zu wenig bekam sie von dem, was um sie herum passierte, mit. Die Untersuchungen ließ sie über sich ergehen, zitternd vor Schüttelfrost.

„Sie hat eine beidseitige Mandelentzündung, ich gebe ihr eine Penicillinspritze.“ Mit diesen Worten zog er auch schon die Spritze auf, beugte sich über das Kind und wollte der auf der Seite Liegenden den Wirkstoff injizie­ren. „Neiiin, nein, nein …!“ Zappelnd, kreischend, um sich schlagend wehrte Susi sich gegen die Spritze, die ihr rie­sengroß erschien und mit einem Zufallstreffer schlug sie dem völlig verdatterten Arzt die Spritze aus der Hand, die dann klirrend am Boden zersprang.

„Oh je, das war die letzte Ampulle, die ich noch davon mit hatte. Dann muss es ohne Spritze gehen. Maria, machen sie ihr Wadenwickel, kalte Halswickel und geben ihr so viel wie möglich von dem nur lauwarmen Salbei – Tee zu trinken. Diese Tropfen muss sie jede Stunde nehmen. Ich schaue heute Abend wieder rein.“ Er hatte, während er noch sprach, in seiner bauchigen Tasche gekramt und stellte nun eine kleine Flasche auf den Tisch. Maria nickte nur, noch ganz entsetzt über die Kräfte, die dieses kleine Mädchen ent­wickelt hatte.

Als der Abend nahte, schlief Susi tief und fest, durch die Wadenwickel war das Fieber gesunken und der Arzt konnte nur nach einem kurzen Blick auf das Thermometer nicken. „Ja, mitunter heilt die Natur sehr schnell, wenn wir sie unterstützen.“ Und ohne einen weiteren Spritzenver­such gesundete Susi, mit Hilfe der verschiedenen Wickel, dem Bemühen von Onkel und Tante und dem vielen Tee. Das Liegen im Bett gefiel ihr, denn immer setzte sich je­mand zu ihr und las vor oder erzählte, streichelte sie dabei und flößte ihr Tee oder die Tropfen ein, fütterte sie mit leckerer Hühnersuppe oder kleinen Häppchen Weißbrot mit dick Leberwurst darauf. Ein dicker kalter Halswickel, der immer wieder erneuert wurde, ließ den beißenden Schmerz beim Schlucken sehr schnell abflauen und nach einer Woche war das Kind wieder gesund.

 

„Schätzchen“, Tante Maria zog die kleine Person, die sie so lieb gewonnen hatten, auf ihren Schoß.

„Püppi, ich habe eine Überraschung für dich.“

Susi schaute erwartungsvoll auf, schmiegte sich an die mollige, so mütterliche Frau.

„Weißt du, wir haben Post von deinem Vati bekommen.“

„Vati?“ ... ach ja ... da gab es ja noch etwas in dem hin­tersten Winkel der Erinnerung.

„Susilein, der kleine Thomas ist wieder gesund. Mutti und Vati möchten dich wieder zu Hause haben.“

Innerlich fühlte sich Maria hilflos und ängstlich, als sie in die Augen des Kindes schaute. Als wäre urplötzlich alles Leid der Welt in die Kinderseele gefallen, so dunkel wur­den die großen Augen. Drei Monate lang war diese Kleine ihr Sonnenschein gewesen. Ihre Anne hatte die Kusine ak­zeptiert und sie wie eine Schwester angenommen.

Sie hatten bei dem Jugendamt nachgefragt, wie ihre Chan­cen standen, das Kind ganz zu sich zu nehmen, doch dort wurde nur der Kopf geschüttelt ... keine Möglichkeit, denn beide Eltern lebten und hatten auch nie den Wunsch ge­äußert, ein Kind abgeben zu wollen.

„Nach Hause? Ich wohne doch hier, hat Onkel Norbert ge­sagt.“ Ganz piepsig riss das aufgeregte Stimmchen sie aus ihren Gedanken.

„Du kommst ja immer wieder zu uns. Onkel Norbert fährt mit dir nach Hause und ganz, ganz bald bist du wieder bei uns.“

Kein Wort mehr kam über die kleinen Lippen. Sie konnte nicht mehr sprechen. Was war das nur für ein dummer Kloß da in ihrem Hals, der nicht mehr weg wollte.

Aber dann fiel ihr Ralf ein. Der große Bruder, ja, der wohnte doch auch noch da ... und die Kleineren – Martin und Thommi, der wie eine kleine Puppe war … und dann kam auch wieder die Liebe zu Mutter und Vater durch, die ja trotz der großen Angst vor ihnen immer da war, auch wenn sie sie fast vergessen hatte, nach der für sie so langen Zeit.

 

Aufgeregte Stimmen erklangen, unverständliche Wortfet­zen drangen in das Kinderzimmer. Ralf hielt den kleinsten Bruder fest an sich gedrückt und ihm die Ohren zu.

„Was hast du denn nur angestellt, dass sich Vati und Onkel Norbert so streiten?“, fragte er flüsternd die kleine Schwester

Susi schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht! Ich war im­mer lieb und habe nie Schimpfe gekriegt.“ Fast unver­ständlich kamen diese Worte aus ihrem fest zusammen ge­pressten Mund.

Martin lächelte sein engelsgleiches Lächeln, „du kriegst Popo voll, ich nicht“, weiter lächelnd spielt er mit dem Holzauto.

 

Ich will wieder zu Tante Maria. Ich will hier weg. Ich bin doch jetzt Tante Marias und Onkel Norberts Püppi …

 

Ihre Gedanken versanken in Erinnerungen. Die kleinen Vögel, die Fische, die sie im Volksgarten immer füttern durfte, mit klein gebröseltem Brot ... die vielen Onkel und Tanten, die bei Tante Maria ein - und ausgingen ... die Kin­der, die das Haus bevölkerten, als der kleine Opa Ge­burtstag hatte und die sonst immer gleich bleibende Ruhe, getragen von einer einhüllenden Liebe ... auch das Ge­heimnis mit Onkel Norbert.

Noch wusste Susi nicht, welche Bedeutsamkeit dies für ihr Leben haben würde.

Die Kinderzimmertür flog auf.

„Susi!“ Auf diesen Befehlston hin flog das kleine Mäd­chen sofort hoch, Panik in den Augen ... „Sag Onkel Norbert auf Wiedersehen und bedank dich ordentlich!“

Da stand er, mit feuchten Augen, nahm das zitternde Bün­del in den Arm, küsste sie auf die Wange und flüsterte: „Du darfst bald wieder zu uns kommen. Ich habe mit Mutti und Vati gesprochen. Alles ist gut. Nicht weinen ...“ „Aber ihr hörtet euch so böse an“, flüsterte Susi an seinem Ohr. „Aber nein, wir waren nicht böse miteinander, alles ist gut.“

Dann winkte er noch einmal allen zu, ein leises „Bis bald“, und er verschwand durch die knarrende alte Holztür, die sich dunkel und drohend vor Susis Blicke schob.

Ich weine nicht, ich weine nicht, ich weine nicht …

Aber schon rollten die dicken Tränen über das müde Ge­sichtchen. Ein ängstlicher Blick ging unter den langen Wimpern zu den Eltern, doch die waren bereits bei den Vorbereitungen zum Abendessen, Ralf wickelte Thommi, Martin malte … niemand bemerkte das Leid.

 

                                             *

 

Kindergarten, Ruhepol … Susi genoss es immer wieder, so in Frieden mit den Kindern spielen zu können. Heute wa­ren sie draußen in dem großen Garten.

Die Zunge zwischen den Lippen schaufelte sie eifrig im­mer wieder den Sand in kleinen Formen, in denen er dann fest geklopft wurden. Schwupp, mit dem richtigen Schwung wurden diese dann gedreht, vorsichtig abgehoben und schon waren die wunderbaren Küchlein auf der langen Bank des großen Sandkastens aufgereiht. Aber heute wollte alles nicht so gut klappen. Susi hielt inne. Die Bauchschmerzen waren wieder da und ihr wurde ganz übel. Dicke Tränen rollten über die leicht gebräunten Wangen, die jetzt erschreckend fahl wirkten. „Susi, Klei­nes…!“ Erschrocken ergriff die Kindergärtnerin das Kind, das sich nun wimmernd übergab, noch mal und noch mal … Dabei krümmte sich die Kleine und hielt den Bauch fest. Die junge Frau ergriff das Kind und trug es im Lauf­schritt in das Haus, legte es im Büroraum auf die Liege, wo es mit angezogenen Beinen liegen blieb und schnappte sich im Vorbeigehen ein Tuch, das sie nun anfeuchtete, um das Kind abzuwischen. Schon kam auch die Leiterin in den Raum. Kurz betrachtete sie das Kind. „Wir müssen sie nach Hause bringen, sie ist richtig krank.“

Susi wusste gar nicht, was ihr passierte. Auf den Armen der jungen Kindergärtnerin erlebte sie den immer wieder­kehrenden Schmerz, der sie mit diesen Wogen von Übel­keit überschwemmte.

Dann ging alles sehr schnell … Mutti lief zum Milchmann rüber, der ein Telefon besaß, der Doktor kam und dann auch schon ein Krankenwagen.

 

Krankenhaus … Susi kam so langsam wieder zu sich. Der Bauch schmerzte noch immer, aber anders. Sie lag in ei­nem großen weißen Zimmer, einem großen weißen Bett, und erkannte, dass da noch mehr Betten standen. Große, weiße Betten und ein kleines Gitterbett. Alles so blendend weiß, ungewohnt hell, dass man schnell die Augen wieder schließen musste. Vorsichtig blinzelnd wollte Susi sich aufrichten und stöhnte … oooh, das ging ja gar nicht. Die Tränen wollte sie nicht rollen lassen, aber es klappte nicht. Was war nur passiert? Sie wusste es nicht. Schemenhafte Erinnerungen zeigten ihr die Schmerzen, die verdorbene Kleidung, als sie sich wieder und wieder übergeben musste, und die Angst, dass sie dafür sicher noch Schläge bekommen würde, dann die Fahrt in einem Auto zum Krankenhaus, wie sie auf Muttis Schoß saß, die ihr gut zu­redete und man ihr Blut abnahm, aus dem Ohr, aus dem Arm, es piekte fürchterlich und machte ihr Angst.

„Hallo, mein Kind!“ Eine fröhliche Stimme riss sie aus den Gedanken. Ein großer Mann stand vor ihrem Bett und lächelte sie an. „Du bist ja wieder aufgewacht. Tut dir der Bauch noch weh?“

„Etwas“, kam eine kleine piepsige Stimme.

„Das vergeht wieder, du wirst jetzt ganz schnell wieder ge­sund. Du warst sehr krank und wir mussten dich operieren. Aber nun wird das schon!“

Die Hand des Arztes strich ihr leicht durch die ver­schwitzten Haare und schon ging er zum nächsten Bett. Ihm war warm und er war müde. Die Umbauarbeiten im Krankenhaus machten allen sehr zu schaffen. Völlig durcheinander gewürfelt lagen die Patienten zusammen, jung und alt, da die Kinderabteilung noch nicht fertig war.

Susi wusste nicht, was er damit meinte. Operiert? Was war das denn?

Da lag nun dieses kleine vierjährige Mädchen, völlig allein unter Fremden, wusste nicht, was passiert war und hatte etwas Angst. Wo waren denn Mutti und Vati? Hatte man sie nun weggegeben, weil sie so böse gewesen war? Ob sie wieder nach Hause durfte, wenn sie sich anstrengte und sehr, sehr lieb war? Und ob … Weiter kamen die Gedankengänge nicht, denn ein tiefer Schlaf ließ wieder alles vergessen.

Die Zeit im Krankenhaus brachte erst einmal viel Angst mit sich. Da kamen die Schwestern, abgehetzt und auch oft schimpfend, weil das kleine Mädchen immer weinte, wenn sie ihm Blut abnahmen oder den Verband wechselten, das in Tränen ausbrach, wenn es essen sollte, und sich erbrach, wenn es gehorchte.

Mittlerweile konnte Susi sich etwas aufrichten und aus dem Fenster schauen.

Dem Krankenhaus gegenüber lag ein Hügel, der sehr selt­sam besiedelt war. Sie konnte kleine Wagen erkennen und viele Menschen, die dort hin und her liefen. Wohnwagen waren das, hatte Schwester Ursel erzählt. Und das war der Zigeunerberg.

„Wenn du so viel weinst, kommen deine Eltern nicht mehr, sondern ziehen dann mit den Zigeunern durch die Welt.“

Und das glaubte Susi sofort, denn ihre Eltern hatte sie ja schon tagelang nicht gesehen. Die wollten sie sicher nicht mehr zurück haben. Natürlich wusste das Kind nichts über Besuchszeiten. Nur zweimal in der Woche waren Besuche erlaubt und an den Besuch direkt nach der Operation erin­nerte sie sich nicht. Für so ein kleines Mädchen waren diese wenigen Tage, die sie nur im Bett lag und wartete, fern von allem Vertrauten, mit Geräuschen um sich, die ihr Angst machten, nicht mal die geliebte Puppe an der Seite, eine schier unendliche Zeit. Doch der Sonntag kam und mit dem Besuch der Eltern schwand die Angst und das Ge­fühl von Zugehörigkeit und liebevoller Zuwendung hüllte Susi warm ein.

„Ihr lasst mich nicht hier?“ fragte sie sehr besorgt, mit ängstlich piepsender Stimme, als die Eltern sich wieder verabschiedeten.

„Doch, mein Mädchen, wir dürfen dich noch nicht mit­nehmen, denn dein Bauch ist noch nicht ganz heil. Aber nur drei Mal schlafen, dann kommt einer von uns und be­sucht dich wieder.“ Damit strich Matthias der Kleinen noch einmal über die schmal gewordenen Wangen, ein Küsschen von Vati und Mutti gaben dem Kind einmal wieder das Gefühl, geliebt zu sein und es hatte keine Angst mehr.

Wie wichtig war sie plötzlich geworden, Susi genoss es mit allen Fasern ihres Seins.

Wieder zu Hause musste sie jeden Morgen einen kleinen Becher Sahne trinken, den Amelie beim gegenüber liegen­den Milchgeschäft holte. Susi war so mager geworden, dass sie nun gepäppelt wurde, ohne zu ahnen, was das die Familie kostete, sie spürte nur die Sonderstellung und es gefiel ihr. Doch sehr schnell erholte sie sich, die kleinen blassen Wangen rundeten sich und der Alltag kehrte ein. Ihre Puppen und der kleine Thommi wurden wieder ihr Mittelpunkt bei Spiel und in den Phantasien, die sie in ei­ner anderen Welt leben ließen.

 

                                              *

 

Ferien in Arfeld, nur vier Kilometer von Berleburg ent­fernt. Susi war schon recht aufgeregt. Großonkel Paul war der Bruder von Oma. Und der lebte hier mit seiner Frau Marte in dem beschaulichen Dörfchen. Er hatte ein Auto, eine Werkstatt eine Tankstelle und ein Haus mit viel Garten dahinter. Die beiden hatten eine Tochter Waltraud und einen Sohn Franz. Waltrauds Mann war wie so viele Männer aus dem Krieg nicht wieder heimgekommen. So lebte sie mit ihrer Tochter Helga bei den Eltern.

Franz war verheiratet und lebte mit seiner Frau Ruth und den Kindern neben der Tankstelle und Werkstatt seines Vaters, in der er auch mitarbeitete, in einem kleinen Be­helfsheim, das sehr gemütlich war.

Oft schon waren sie alle hier gewesen. Die beiden Kleinen ka­men in einen Bollerwagen und dann marschierten die ganze Familie los … immer durch den Wald voller Düfte und Geräusche, die schön und spannend zugleich waren. Es waren ja nur 5 Kilometer und es wurden auch Pausen gemacht.

Nie hinterfragte Susi, warum sie laufen musste und der ein Jahr jüngere Martin mit dem Baby zusammen gefahren wurde. Es war einfach so. Doch manchmal nahm sie der Vater auch eine kurze Zeit lang auf die Schultern, wenn ihr Schritt zu langsam wurde.

Susi staunte immer wieder, wenn sie in dem kleinen Ort ankam.

In dem großen Garten liefen Hühner herum und Ziegen. Man schaute über ein paar Felder und konnte die Eder se­hen. Wie gerne ging sie dort mit Tante Waltraud und Helga spazieren. Helga war schon groß, dreizehn Jahre älter als die Fünfjährige und nicht oft zu Hause. Sie arbeitete in Siegen und wohnte dort eine ganze Zeit bei Susis Oma.

Die Eder war so verlockend, aber auch gefährlich. Das eif­rige Kind lernte früh zu schwimmen, denn die Eltern wa­ren mit ihr und den Brüdern bei schönem Wetter oft in der städtischen Badeanstalt, so konnte sie mit den Dorfkindern in dem hier sehr schmalen und seichten Fluss spielen, ver­suchen, die kleinen Fische mit den Händen zu fangen, von Stein zu Stein hüpfen und den Sommer genießen, frei wie ein Vogel, ohne Bestrafungen oder Schimpfe, nur in die Nähe des Wehrs durften sie nicht, das war verboten.

„Komm Susi, wir wollen in den Stall, die Hühner müssen raus.“

Da sputete sich die Kleine aber.

Morgens durfte sie mit Tante Marte im Hühnerstall Eier einsammeln und die Klappe aufmachen, durch die alle Hühner und der bunte Hahn in den Garten konnten. Diese durchliefen dann ein Laufgitter, dass sie an dem Nutzgar­ten, in dem es so leckere Stachelbeeren, Johannisbeeren, leckere Erbsenschoten, Salatköpfe und viel, viel mehr gab, vorbeilotste, bis zu der großen Wiese, die sich anschloss. Dort konnten sie den ganzen Tag picken und hacken und kratzen oder einfach sich nur in eine Mulde kuscheln, den Kopf unter einen Flügel geschoben und schlafen oder dösen. Manchmal fand Susi auch ein Ei im Garten, einfach in das Gras gelegt. Das war immer wieder eine Überraschung und Freude. Und dann die drei Ziegen, da gab es leckere Ziegenmilch. Ganz frisch gemolken war die Milch noch warm, wurde durch ein Tuch gegossen und schmeckte … ganz anders als Kuhmilch, herb, würzig…

In der Küche duftete es immer ganz herrlich. Da war es einmal Kuchen, den es nicht nur am Sonntag gab oder leckere Braten. Aber der wunderbarste Geruch war der, wenn Marmelade und Saft gekocht wurden.

Wenn alle nachmittags im Wald und auf dem Berg waren, sammelten sie die Eimer voller Himbeeren und Brombeeren. Dann wurde ein Stuhl umgedreht, auf einen anderen ge­stellt, ein Tuch zwischen die Stuhlbeine gespannt und die herrlich duftenden Beeren darauf geschüttet. Unter dem Tuch stand ein Eimer. Dunkelrot floss nun der Saft durch das Tuch und wurde später zu Gelees und Sirup verarbei­tet. Ganz spannend war das. Mit ihren fast fünf Jahren passte Susi ganz genau auf, damit ihr nichts entging.

Starke Wärme verbreitete der große Herd, der trotz der noch sommerlichen Temperaturen auch tagsüber nie aus­ging. Der Wasserkessel summte immer vor sich hin, das Prasseln des Feuers wirkte wohltuend heimelig und beru­higend. Es bedurfte keiner großartigen Manöver, um Susi dann ins Bett zu bekommen. Die Augen fielen ihr nach so einem Tag ganz von alleine zu.

Einmal nur konnte das Kind nicht einschlafen. Da erzählte Tante Marte ihr die Geschichte von den Nebelfrauen an der Eder, die Kinder, die nicht schlafen wollen, einfach wegholten und nicht zurückbrachten. Erschrocken schloss die Kleine ihre Augen und muckste sich nicht mehr. „Wenn ich mich nicht rühre, merken die Nebelfrauen nicht, dass ich noch wach bin“, dachte sie und hielt ängst­lich ihre Puppe an sich gepresst.

 

                                                *

 

„Oh, Tante Ira, danke.“

Die Kinder umstanden die Schwester des Vaters und hiel­ten das Malpapier in den Händen.

Tante Ira arbeitete als Sekretärin in einer Papierfabrik. „Ich muss dem Chef helfen“, hatte sie erzählt.

Immer wieder versorgte sie die Familie ihres Lieblings­bruders, der vierzehn Jahre jünger war, mit Malblättern und Toilettenpapier.

„Sieh mal, Amelie, ich habe mir mal wieder Stoff gekauft und erst zu Hause bemerkt, dass er nicht zu mir passt. Vielleicht kannst du etwas für die Kinder oder dich davon machen.“

Auf diese Weise brachte sie auch Lebensmittel oder sons­tige nützliche Dinge in den Haushalt mit ein, wusste sie doch, wie schwer es für ihren Bruder und die Schwägerin war, die Familie über die Runden zu bekommen. Ihre ganze Freude waren die strahlenden Gesichter der Kinder, insbesondere ihres Patenkindes Susi.

Sie lebte allein. Die große Liebe ihres Lebens hatte sie an eine andere Frau verloren und so hing sie mit jeder Faser ihres warmen Herzens an dieser ihrer Familie. Alle wurden von ihr geliebt und es nagte manchmal an ihrem Herzen, dass die Schwägerin oft herrisch und abweisend ihr gegen­über war, obwohl sie ja wohl eher Grund haben musste, die Frau ihres Bruders anzufeinden, nach der Sache nach dem Krieg ... Aber sie war kein Mensch, der nachtragend war. Schon hatte sie es wieder vergessen. Wie glücklich war sie doch, dass sie teilhaben durfte.

Am Sonnabend kamen immer die größeren Kinder und brachten ihr von dem leckeren Eintopf und manchmal, am Sonntag, ging sie zum Essen hin. Bei aller Bescheidenheit der Mahlzeiten genoss sie diese wie ein Festmahl, denn das erinnerte sie an früher.

„Wir waren auch vier Kinder“, schossen ihr oft Vergleiche durch den Kopf.

„Sieh mal Susi“, sie hielt dem Mädchen ein Päckchen hin.

„Du kommst doch in die Schule und sicher näht Mutti dir noch einen hübschen Rock oder ein Kleid.“

Susi hatte die Zunge zwischen die Lippen geschoben, wäh­rend sie das Päckchen vorsichtig öffnete. Schöner fester Stoff lag in ihren Händen und sie reichte ihn gleich an Mutti weiter.

„Danke, Tante Ira!“ Sie umarmte ihre Tante und küsste sie fest auf die Wange und wurde gleich auch geknuddelt und bekam einen Kuss.

 

„Halt ihn fest, Susi, halt ihn fest!“ Tante Ira winkte aus ih­rem Bürofenster, aber da schafften die kleinen Hände es schon nicht mehr, den kaum kleineren Bruder festzuhalten. Jeden Morgen das gleiche Theater. Martin warf sich krei­schend und strampelnd auf den Gehweg.

„Ich will nach Hause, Muuuttiii, ich will nach Hause!“

Beide sollten nun gemeinsam den Kindergarten besuchen, der für Susi im vergangenen Jahr eine Stätte des Friedens und der Ruhe war, trotz des immer wieder aufbrandenden Stimmengewirrs. Sie konnte hier herrlich mit den Puppen spielen, wie sie es mit ihrem kleinsten Bruder so gern tat ... schmusen, wiegen, an- und ausziehen.

Aber nun musste sie Martin Morgen für Morgen hinter sich herzerren. Von zu Hause an hielt Ralf, schon groß mit seinen zehn Jahren, den Kleinen fest an der Hand. Bis sie seine Schule erreichten, lief Martin auch tapfer, zwar im­mer etwas gezogen, an der Hand seines älteren Bruders mit. Artig wechselte er auch an die Hand der Schwester. Aber schon wenig später ging der Kampf los.

Von der Schule bis zum Kindergarten waren es nur etwa zweihundert Meter. Kaum war Ralf um die Ecke des alten Schulgebäudes verschwunden, gelang es dem kleinen Energiebündel, sich loszureißen, auf die Erde zu werfen, zu treten, zu schreien ... Susi konnte ihn nicht bändigen.

Und immer war Tante Ira dann der rettende Engel.

Immer schaute sie zur gleichen Zeit aus dem Fenster ... immer kam sie aus dem Firmengebäude gelaufen, das ge­nau zwischen Schule und Kindergarten auf der anderen Straßenseite lag ... immer hatte sie ein Taschentuch parat und immer verschwand ein Bonbon in Martins noch im­mer zum Schreien bereiten Mund. Auch Susi bekam ein Bonbon, welches sie stets in ihre Brottasche steckte ... man wusste ja nie, wann man es mal brauchte. Sie mochte keine Süßigkeiten, konnte aber den kleineren Bruder dadurch bewegen, wenigstens mittags, auf dem Rückweg, ihr nicht wegzulaufen.

Die letzten Meter ging nun Tante Ira mit und lieferte den zufriedenen, engelsgleich strahlenden Jungen und ein im­mer wieder erschrockenes, verwundertes und erschöpftes Mädchen im Kindergarten ab.

Langsam verzog sich die Anspannung in Susi und wich der Freude, hier nun malen, basteln, singen und spielen zu können. Unter den beobachtenden Augen der Kindergärt­nerinnen konnte ihr auch keiner wehtun. Sie fühlte sich sicher und aufgehoben.

Wie immer wurde zuerst der Morgenkreis mit Gesang und einem Gebet gestaltet. Susi sang gerne ‑ auch zu Hause wurde gesungen und musiziert. Alle hatten sehr schöne Stimmen, Vati spielte auf dem Flügel, der noch aus seinem Elternhaus stammte, den sein Vater als Musiklehrer meis­terlich gespielt hatte, und Mutti konnte Flöte spielen. Ein­zigartig, glockenklar und hell tönte Martins Stimme aus dem fröhlichen Morgenlied hervor und die Herzen aller flogen ihm dadurch zu. Seltsamerweise war er überall be­sonders beliebt. Der kleine strahlende, blonde Junge sang und lachte für die Menschen und niemand konnte sich vor­stellen, mit welcher Ungerührtheit er die ältere Schwester quälen konnte, indem er ihre Puppen auf die Erde knallte, Susi an den Zöpfen zog, dem Baby die Rassel wegnehmen, die Geschwister bei den Eltern anschwärzen konnte … nein, bei Anderen war er wie ein kleiner Engel.

Susi bastelte auch gerne. Unter der Anleitung der Kinder­gärtnerin, Tante Ilse, entstanden Kastanienmännchen und -tiere, aus bunten Papierstreifen, die durch ein mehrfach ge­schlitztes Blatt gezogen wurden hübsche Flechtdeckchen, die immer voller Stolz mit nach Hause genommen wurden und dort auch lobende Anerkennung erhielten.

Und dann kam schon das freie Spielen, für Susi immer der Höhepunkt. Sehr schnell war sie in das Spiel mit den Pup­pen vertieft, die sie liebevoll an- und auszog, schlafen legte, im Puppenwagen herumfuhr, ganz und gar liebevolle Puppenmutti.

Ludwig und Renate spielten mit. Sie bildeten eine friedli­che Insel und das Lachen und Raunen der anderen Kinder glitt an ihnen vorbei, so sehr lebten sie sich in das Spiel ein.

Viel zu schnell verging für Susi immer dieser Morgen, ohne Angst, ohne Schimpfen und ohne Befehle.

                                         *

„Autsch ...“, lachte Amelie, als sie Susis schmerzlich ver­zogenes Gesicht sah, während sie ihrer Tochter das lange Haar bürstete, um es dann stramm in Zöpfe zu flechten.

„Aber mir tut das doch weh, nicht dir“, beschwerte sich das Kind.

Erschöpft strich die junge Frau sich eine Locke aus dem Gesicht. Hübsch war sie, aber sehr mager. Die Arbeit mit den vier Kindern, die Sorgen um das tägliche Leben, die feuchte Wohnung ... alles setzte der jungen Frau sehr zu. Während ihre Hände routiniert die Zöpfe flochten, wanderten ihre Augen über die anderen Kinder. Ralf war ihr schon eine große Hilfe. Fertig angezogen half er nun dem jüngeren Bruder, seine Jacke zuzuknöpfen. Der Kleinste lag zufrie­den brabbelnd in seinem Bettchen.

„So, fertig! Komm Susi, noch die Schleifen ins Haar und dann gehen wir los.“

Susi war aufgeregt. Mit leuchtenden Augen schaute sie auf den neuen Ledertornister, der nun den ersten Gang zur Schule mit ihr antreten sollte.

Und dort stand die Schultüte ... geheimnisumwittert und glänzend schön. Was mochte darin sein? Ralf wollte nichts verraten.

Amelie brachte Thomas zur Nachbarin, die sich gerne be­reit erklärt hatte, auf ihn aufzupassen.

Nun konnte es losgehen. Amelie kämmte noch schnell ihr welliges Haar, setzte das kecke Hütchen auf, das sie so liebte und ging mit den Kindern die ausgetretenen Stufen hinunter. Sie seufzte, denn in dem alten Haus roch es im­mer ein wenig jauchig, war doch direkt neben der Ein­gangstür die große Jauchegrube, in die die Inhalte der beiden Plumpsklosetts, die sich auf den Fluren befan­den, liefen. Neben dem Haus tümpelte ein ekliges Bäch­lein, in das die Abwässer der Küchen flossen; Ratten liefen hier und auch in den Kellerräumen, immer wieder wurden Fallen aufgestellt, weil die Nager ohne Unterlass auf Su­che nach Essbarem waren. Die junge Frau schüttelte sich, so sehr ekelte sie sich.

Ein herrlicher Frühlingstag. Susi konnte es riechen, dass nun der Winter vorbei war. Von klein auf lernten die Kin­der von Vater und Mutter, die Natur zu beobachten, konn­ten die Vögel mit Namen benennen und viele Blumen und Pflanzen, sie sammelten Beeren und Pilze.

Berleburg, eine kleine Stadt mitten im Rothaargebirge, schon im siebten Jahrhundert vor Christus erwähnt und die Residenz der Grafen zu Sayn - Wittgenstein, deren wunder­bares Schloss mit dem großen Park viele Besucher anzog.

Schon zu Ostern war der üppige Sauerländer Schnee von der Sonne aufgeleckt worden und überall grünte und blühte es. Die Vögel hatten mit ihrem Nestbau zu tun, ob­wohl die Vogelmännchen sich immer wieder Zeit nahmen für ein schmetterndes Lied.

Ralf verabschiedete sich vor seiner Schule ... auch für ihn begann ein neuer Lebensabschnitt, denn heute war sein erster Tag im Gymnasium. Das war eine schwere Ent­scheidung für die Eltern gewesen, denn das Schulgeld würde die ohnehin schmale Kasse noch mehr belasten, aber auf jeden Fall sollte der hochintelligente Junge die bestmögliche Schulbildung bekommen. Besonders wichtig war dies für Matthias, denn er durfte die Schule nur bis zur Mittleren Reife besuchen, sein älterer Bruder studierte be­reits und für mehr reichte das Geld nicht und der Ältere konnte sein Studium nur beenden, weil Ira damals ihr ganzes Geld zu Hause ablieferte, um ihre Mutter und die jüngeren Ge­schwister zu unterstützen.

Vor dem Firmengebäude wartete schon Tante Ira und übernahm Martin, der heute mustergültig den Weg mit­marschiert war, als wäre er immer „der Liebste der Welt“, wie er sich oft selbst bezeichnete, um ihn zum Kindergar­ten zu bringen.

Und nun betraten sie die alte Schule, die den Krieg über­standen hatte und in der schon so viele Generationen von Kindern mit der Zunge zwischen den Lippen ihre ersten Schreib- und Rechenversuche gemacht hatten.

„Huhu, Susi“, Renate winkte eifrig. Ihr dunkler Pagenkopf glänzte in der frühen Morgensonne und bot einen schönen Kontrast zu Susis hellen, leuchtenden Zöpfen.

„Wir sitzen aber zusammen“, aufgeregt schnatterte Renate los. Susi nickte. Sie war jetzt ganz ruhig. So lange hatte sie auf diesen Moment schon gewartet. Wie oft hatte sie Ralf gelöchert, wenn sie wissen wollte, was in den Büchern stand. Um seine Ruhe zu haben, weihte er sie Buchstabe für Buchstabe in den Zauber der Worte ein ... „Aber sag keinem was“, war immer seine Mahnung, denn es konnte ja sein, dass es nicht erlaubt war.

Und Susi übte fleißig und war immer ganz selig, wenn sie wieder und wieder einige Worte und Sätze entziffern konnte. Und nun ging es richtig los ... nun würde sie bald auch schreiben können.

„Susanne Baum!“ Sie sprang strahlend auf. Ja, das war ihr Name, „HIER!“ Nun war sie eine Schülerin.

 

Keuchend schob die junge Frau den Kinderwagen die An­höhe hinauf. Sie zitterte, als sie an die Tür des Bauernhau­ses klopfte.

„Bitte, helfen sie mir ... mein Kind braucht ein wenig Milch, bitte ... “ Mit einem Seufzer brach sie dann zusam­men. Und die Augen der alten Frau, die die Tür geöffnet hatte, blieben mit erstarrtem Blick an dem toten Säugling im Wagen haften ... wie grauenvoll ... „Gute Frau, dein Kind braucht keine Milch mehr, es ist tot.“

 

„Wach auf Susi, wach auf“, Ralf rüttelte seine ächzende, schweißgebadete Schwester, die wimmernd im Bett lag und nur immer „Hunger, Hunger, mein Baby verhungert ...“ stammelte.

„Was ist denn wieder los?“ Ralf zuckte zusammen, Vati war ins Zimmer gekommen.

„Susi träumt wieder ... von ihrem Baby!?“

„Diese Träumerei, was hat sie denn nur immer?“ Mit die­sen Worten schob er Ralf wieder zu seinem Bett … „Schlaf weiter, ich nehme sie mit.“ Er hob das schluch­zende Kind aus dem Bett und trug sie in das große Ehebett ... ganz fest klammerte die Kleine sich an den Vater. Das Weinen verebbte und das Kind glitt wieder in traumlosen Schlaf.

 

„Wie kann sie von Feuer und Krieg, von ihrem verhun­gerten Kind träumen, sie ist noch keine sechs Jahre alt … sie ist nach dem Krieg geboren, sie hat nie etwas miterlebt ...?“ Mathias packte seine Brote in die Blechdose, schüt­telte den Kopf, er konnte sich diese Träume, immer wie­derkehrend, aber mit unterschiedlichen Inhalten, Träume einer erwachsenen Frau, nicht erklären. Oft hatte er mit seiner Frau darüber gerätselt, aber keine Lösung gefunden.

„Sie hat halt eine lebhafte Phantasie“, meinte Amelie, als er sich an der Tür noch mal umdrehte…

„Für Phantasie benötigt man Erlebtes, das man dann ein­bettet in so eine Geschichte.“ Er gab der geliebten Frau noch einen Kuss und ging, um seinen Büroalltag zu begin­nen. Zu den finanziellen Sorgen nun auch noch diese. Wen konnte man um Rat fragen? Ach was, Susi war gesund, das würde sich legen.

Er seufzte.

Welche Träume hatten Amelie und er gehabt, als er sie als junger Soldat kennen lernte. Sechzehn war sie gerade und er war ihr sofort mit Haut und Haaren verfallen. Der sechs Jahre Ältere konnte sich dem kapriziösen Liebreiz des Mädchens nicht entziehen. Hübsch war sie mit den langen, leicht lockigen, brünetten Haaren.

Und der elende Krieg, in den die jungen Männer so freudig und hoffnungsvoll gezogen waren, die wenigen Besuche in der Heimat und die immer fester werdende Liebe zu dem Mädchen, die Blitzhochzeit, damit sie als Kranken­schwester nicht nach Russland musste, sie noch siebzehn­jährig ‑ Heimaturlaub ‑ der dann drei Jahre später geborene Sohn, den er nur so selten sah und dem er fremd war ‑ die Jahre der Kriegsgefangenschaft, dann der Schock, dass seine Frau ihn betrogen hatte, ihn ansteckte mit einer Ge­schlechtskrankheit, die ihn im Marburger Krankenhaus lange ans Bett fesselte und eine Lähmung des Beins verur­sachte, ihn behindert nach Hause kommen ließ, ernst, manchmal aufbrausend, jähzornig, doch er verzieh ihr, so schwer es ihm auch manchmal fiel, wenn die Erinnerung brennend heiß in ihm aufstieg und ihn mit Eifersucht er­füllte ... Und dann das „Wiedersehenskind“, ein Mädchen, heiß geliebt. Und dieses Kind blieb nicht verschont von der ansteckenden Krankheit der Mutter, denn die An­steckung im Mutterleib sollte unterbunden werden mit Penizillin, welches dem Kind eine schwere, mit Sicherheit lebenslange Allergie bescherte. So mussten alle Impfungen unterbleiben, den Eltern wurde eine Bescheinigung für das kleine Mädchen ausgehändigt … Darf nicht geimpft wer­den, es besteht Gefahr für Leben und Gesundheit … stand da.

Aber auch Susi bekam so oft, wie die anderen Kinder, Mathias` Hilflosigkeit zu spüren, die sich in Wut steigerte und deren Ventil dann die Schläge wurden, wenn er seine Amelie klagend vor sich sah ... schluchzend, jammernd, blass … elend.

Sein eigenes Unvermögen, seine geplatzten Träume, der Gedanke an die ständig beißende Frage, ob sein ältester Sohn auch wirklich von ihm war, alles explodierte dann in ihm. Hatte er nie mitbekommen, dass die Kinder schon vorher massiv gestraft wurden? Welche Angst oft in den Kinderaugen saß, übersah er das bewusst? Gefangen von dem eigenen Leid, von dem Wunsch beseelt, dieser den­noch über alles geliebten Frau beizustehen, ihr das Leben zu erleichtern, ihr zu genügen machten ihn ihr hörig, er konnte sich ein Leben ohne sie nie vorstellen; ja, er hatte verzie­hen, doch brennend saß die Eifersucht in jeder Falte seines Herzens.

In Gedanken versunken hinkte er, das gelähmte Bein in dem unförmigen, hohen Schuh leicht ziehend, den ver­trauten Weg zum Büro, froh darüber, dass er eine Arbeit hatte, auch wenn das Geld hinten und vorne nicht reichen wollte. Das Ganze machte ihn auch so reizbar. Jeder Pfen­nig musste dreimal umgedreht werden, denn alle mussten satt werden. Eine kaputte Hose, eine Kanne vergossene Milch … alles waren Kosten, die man kaum bewältigen konnte. Viel zu ernst und zu streng wirkte er für sein Alter. Er war doch erst achtunddreißig und Amelie zweiunddrei­ßig ‑ wo waren ihre Träume geblieben. Wurde nun alles ein Opfer des Krieges, der Armut?

Seine Gedanken wanderten …

Wie gerne wäre er Lehrer geworden, wie sein mit erst dreiundfünfzig Jahren zu früh verstorbener Vater. Aber dazu reichte dann das Geld nicht mehr. Norbert studierte schon. Gitta, begnadet am Flügel und mit der Geige wollte dies so gerne zu ihrem Beruf machen, aber sie musste als Haustochter zu einer Familie, um auch der Mutter, die nur die spärliche Witwenpension hatte, nicht länger auf der Tasche zu liegen. Durch die adeligen Vorfahren der Mutter, sowie Gittas Taufpaten aus dem Haus von Knobelsdorf-Benkenhoff konnte hier eine angemessene Stelle gefunden werden.

Ira hatte ihr Auskommen in der Firma Winkel, wo sie als Sekretä­rin arbeitete und früh die Mutter finanziell unterstützen konnte, aber auch die Ausbildung der jüngeren Geschwis­ter mit bezahlte. Also war er froh gewesen, Holzkaufmann lernen zu dürfen.

Nun war Gitta lange verheiratet, hatte nach Jahren in ande­ren Städten vor zwei Jahren nach ihrer Scheidung die Bewirtschaftung der hiesi­gen Jugendherberge übernommen,wo sie mit ihren drei Kindern lebte und arbeitete. Norbert war verheiratet, arbeitete als Ingenieur und Ira lebte und arbeitete ja auch hier.

Das Grübeln half nichts und die Träume von einem tro­ckenen Haus, mit genügend Platz auch für einen Garten … Er zeichnete Pläne, Grundrisse, baute mit Sperrholz, in der Hoffnung, einmal alles verwirklichen zu können.

Ein kleines Grundstück hatten sie, etwas außerhalb der Stadt gelegen. Das Gemüse, die Kartoffeln und Beeren, die sie dort ernteten, halfen immer wieder, die Kinder satt zu bekommen. Es war ein anstrengender Weg dorthin, mit den Kindern und den Geräten, dem Bollerwagen als Transportmittel, aber so waren sie alle draußen, konnten die Kinder unbesorgt spielen lassen, denn hier gab es keinen Verkehr.

Aber ein Haus, wie lange müsste man sparen? Wovon denn sparen, wenn es hinten und vorne kaum zu Leben reichte?

Er zuckte zusammen, die Arbeit wartete, er war am Büro angekommen. Er strich sich über die Stirn und die Wirk­lichkeit holte ihn schmerzhaft wieder ein. Ach was – Träume ‑ unerreichbar.

Seufzend begann er seine Arbeit, die er penibel und genau verrichtete, und darüber vergaß er schnell die schweren Gedanken.

 

                                                 *

Schule, welch wunderbares Leben.

Susi schrieb. Vor ihr auf der Tafel reihten sich die Buchstaben aneinander und ergaben ein sauberes Bild. Stille breitete sich aus in dem Raum, nur ab und zu durchbrochen von dem Quietschen der Griffel auf den Schiefertafeln. Das Lernen fiel ihr leicht. Begierig las sie die lustigen Geschichten in der Fi­bel, obwohl sie im Unterricht noch gar nicht so weit wa­ren. Aber Ralf hatte ihr das ja schon alles immer heimlich erklärt und beigebracht.

Lesen, eintauchen in andere Welten. Susi genoss diese Ruhe in den Schulstunden. In den Pausen, angefüllt mit dem brodelnden Lärmen aus hunderten von Kinderkehlen sehnte sie den erlösenden Klingelton herbei, der alle wie­der in die hohen, ruhigen Räume zurückrief.

Nur wer gefragt wurde, durfte reden. Die Stimme der jun­gen Lehrerin war mild und doch bestimmt. Kein Zanken, Streiten, keine Befehle … einfach nur wohltuend, entspan­nend. Ab und zu strich dem eifrigen Mädchen eine warme Hand über das Haar. Alle liebten dieses ruhige, fleißige Kind.

Susi war begierig, immer mehr zu erfahren. Nun würden auch die Bücher von Ralf und die der Eltern nicht mehr so voller Geheimnissen stecken, sie konnte lesen.

Zu Hause änderte sich nichts. Sie blieb weiterhin ruhig, fast ängstlich bemüht, es allen recht zu machen, denn na­türlich liebte sie ihre Eltern, und wie weh tat ein lautes Wort, die Ohrfeige, die den Kopf zur Seite schleuderte, stundenlang brannte und Kopfschmerzen bis zur Übelkeit erzeugte oder ganz schlimm die Schläge mit dem Koch­löffel, noch schmerzhafter mit dem gnadenlosen Rohr­stock. Wie groß war die Angst, wenn mit dem HEIM ge­droht wurde. Das musste etwas sehr Schlimmes sein. Und wenn Mutti damit drohte, sie würde sterben und sie wären daran schuld, was würde denn dann passieren? Susi kroch oft in sich zusammen; Hauptsache, niemand nahm Notiz von ihr, sah und hörte sie. Trotz aller Wissbegierde fiel ihr zu Hause das Lernen schwer. Die kleinen Brüder sorgten stets für Unruhe, so dass man sich schlecht konzentrie­ren konnte, besonders, wenn die Zahlen über die Tafel tanzten. Rechnen, ach du meine Güte ‑ ja, musste sein. Aber viel Freude machte das nicht. Wozu sollte das die­nen? Um zu wissen, wie viel Geld da war? Sie hatte noch nie Geld besessen. Zählen? Ging einfach ... na ja, Rechnen wurde nicht mit so viel Freude angenommen.

So widmete sie sich immer wieder den Büchern, die im Kinderzimmer lagen. Da war das große Märchenbuch, dann Abenteuergeschichten, die Ralf gehörten, die sie aber auch förmlich verschlang. Zu den Geburtstagen und Weih­nachten gab es immer wieder neuen Lesestoff, das Inte­resse an dem geschriebenen Wort wurde von allen erwach­senen Familienangehörigen gefördert.

Nie vergessen wurden ihre heiß geliebten Puppen, denen sie vorlas, erdachte Geschichten erzählte, sie an- und aus­kleidete, Gelebtes mit ihnen nachspielte, aber mit so viel Milde, ohne die selbst erlebten Schläge an ihre Puppenkinder weiterzugeben, nur ihr Wunschleben einbringend.

So klein sie war, sie wusste, dass sie nicht schlagen konnte. Auch im Streit mit den Brüdern zog sie sich zu­rück, bekam da einen Schlag, dort einen Stoß, an ihren langen Zöpfen wurde gezogen, ohne dass jemals in ihr der Wunsch nach Vergeltung wach wurde. Sie nahm es hin, weinend, sich zurückziehend in eine Traumwelt. Dort spielte sie Leben, wie sie es aus Büchern kannte. Es gab da Menschen, die in aller Liebe und Ruhe miteinander um­gingen, keine bösen Worte fielen, kein Streit und wenn doch, ging für die Hauptperson alles immer so wundervoll aus. Wunschträume … Sie wiegte den kleinen Bruder in den Armen, küsste und streichelte ihn.

Und so in sich zurückgezogen erlebte ihre Umwelt sie und sie wusste nicht, dass ihre Eltern mal meinten: „Ach, sie ist ja schon eine sehr Liebe, aber auch ein wenig dumm. Sie spricht fast nicht, höchstens mit ihren Puppen. Macht ja nichts, wenn sie es in der Schule nicht so weit schafft.“

Beim Einkaufen in der kleinen Stadt traf Amelie eines Ta­ges Frau Waxmann, Susis Lehrerin. „Guten Tag, Frau Waxmann.“

„Ja, Frau Baum, schön Sie mal zu treffen.“

„Ach, Frau Waxmann, ich habe gerade die Einladung zu dem Eltern­gespräch bekommen. Wir denken, Sie wollen, dass wir Susi wieder aus der Schule nehmen, weil sie es wohl nicht so richtig schafft! Es war wohl doch zu früh.“

Völlig erstaunt schaute die junge Lehrerin die Frau an und schüttelte heftig mit dem Kopf. „Aber nein, Susi ist meine beste Schülerin! Wie kommen Sie denn nur auf die Idee? Sicher, sie ist sehr ruhig, meldet sich sehr zurückhaltend, aber alles, was sie gefragt wird, beantwortet sie völlig richtig. Sie liest mit einer Betonung, die ungewöhnlich ist für ein Kind dieses Alters und wenn sie erzählt, mit leiser Stimme, lauschen alle wie gebannt. Nein, da machen Sie sich keine Sorgen, sie ist zwar scheu, aber bringt hervorra­gende Leistungen.“

Und so zeigten sich auch die ersten Zeugnisse. In allen Fä­chern war das Mädchen gut. Wie strahlte das Mädchen über die lobenden Worte der Eltern. Wie sehr liebte sie sie da, fühlte sich geliebt und bestätigt.

 

                                          *

 

„Renate, schau mal, dort fliegt eine Dohle, ob das wohl unsere ist?“ Susi lehnte sich über das steinerne Brücken­geländer der Odeborn, dem kleinen Fluss in Berleburg. Sie freute sich, mit ihrer Schulfreundin nun ab und zu alleine herumlaufen zu dürfen. Ruhig war es in den kleinen Stra­ßen.

Ein großer Bauernhof lockte die Kinder immer wieder an und Werner, der kleine O-beinige Schulkamerad zeigte stolz die Ställe seines Zuhauses. Kleine Katzen hatte er, die kaum die Augen offen hatten, einige Hunde tobten über den Hof, die auf sein Zurufen reagierten, was Susi sehr beeindruckte, Schweine und Kühe gab es zu sehen und alle hatten Junge.

Schön war dieser Sommer.

Ralf hatte im Frühsommer ein verletztes Dohlenjunges ge­funden und Amelie päppelte den Vogel auf. Das konnte sie sehr gut, Geduld aufbringen für dieses hilflose Vogel­junge, mit einer Pinzette füttern … Ganz zutraulich wurde dieses Tier. Es dauerte nicht lange und es konnte seinen Namen rufen: „Jakob, Jakob!“ So klang es nun immer durch das Haus.

Aber dann wurde er flügge und die Eltern beschlossen, ihn zum nahen Wald zu bringen. Sie hatten den Kindern er­klärt, dass ein Wildtier nicht immer in einem Haus leben kann, dann würde es krank. Traurig zogen nun alle zum nahen Stadtrand. Jakob saß auf Susis Schulter. Gerne kletterte er auch immer wieder durch ihr dickes Haar auf den Kopf und krächzte dann ein triumphierendes krächzendes: „Jaaakob!“

Alle streichelten ihn noch einmal mit Tränen in den Au­gen, dann nahm Matthias ihn, warf ihn hoch und Jakob flog zum nächsten Baum. Aber schwupps, war er schon wieder da, bei seiner Familie.

Mehrmals wurde das Ritual wiederholt und tatsächlich: die Flüge wurden länger … länger und plötzlich war er im Dickicht verschwunden.

Auf dem Weg nach Hause dachte sich Susi gleich eine Ge­schichte über Jakob aus, wie er wieder nach Hause zu­rückkam und nie mehr wegflog. Abends im Bett erzählte sie diese Geschichte ihren Brüdern und so getröstet konn­ten sie alle besser einschlafen.

 

Renate und Susi erkundeten gerne die Gegend, obwohl sie wussten, sie sollten in Rufweite, in der Nähe der Häuser bleiben. So gelangten sie eines Tages hinter die Schlachte­rei.

Durch den Zaun hörten sie ein fürchterliches Kreischen und sahen, als sie ein Loch zum Durchschauen im Zaun entdeckten, dass zwei Männer ein schreiendes Schwein festhielten. Dann zog der eine etwas aus der Tasche, setzte es dem Schwein an die Stirn, es machte einmal nur PLOPP und das Tier fiel um. Sofort kniete der jüngere Mann vor dem immer noch mit den Beinen zuckenden Opfer und stieß ihm blitzschnell ein Messer fest in den Hals. Die her­bei geeilte Frau hatte eine große Schüssel in der Hand, die sie nun rasch unter den Hals des röchelnden Wesens schob und in dicken, pulsierenden Schwallen entströmte das Blut aus der Wunde, wurde aufgefangen und sofort gerührt. Die Beine hörten auf zu zucken, das Röcheln verebbte und dann war es ruhig. Was weiter passierte, sahen die Kinder nicht mehr. Übelkeit und Entsetzen schüttelte sie. Sie lie­fen heulend davon.

Renates Mutter hörte schon von weitem ihre Tochter rufen und trat aus dem Garten auf die Straße. Sie fing das völlig außer sich geratene Kind auf und verstand sofort, was die­ses ihr erzählte. Liebevoll hielt sie die Tochter umfangen und tröstete sie.

Susi nahm dieses Bild noch mit sich und erreichte nun auch das Haus, in dem sie wohnten. Immer schneller flo­gen die Beine die ausgetretenen Stufen hoch und schon stolperte sie in die Küche, wo ihr die Worte des Entsetzens nur so aus dem Munde sprudelten.

„Habe ich dir nicht gesagt, du sollst nicht so weit vom Haus weggehen, was hattet ihr da zu suchen“, schimpfte Amelie sofort aufgebracht los, holte kurz aus und Susi Kopf flog, getroffen von dem Schlag in den Nacken. „Jetzt hast du Grund zum Heulen, geh ins Kinderzimmer. Zur Strafe gibt es kein Abendessen.“ Damit war für sie die Sa­che erledigt.

Mit dröhnendem Kopf, die fürchterlichen Blutbilder noch vor Augen, das entsetzliche Schreien des Schweins in den Ohren … das Kind rollte sich zitternd auf dem Bett zu­sammen, ihre Puppe fest an sich gedrückt, und immer wie­der tauchte auch das Bild von Renate und ihrer besorgten Mutter vor ihr auf. Aber wieso war es da so anders?

Was mache ich nur falsch, was mache ich nur falsch?

Wie so oft peinigte sie diese Frage, denn es musste ja an ihr liegen. Als Ralf vom Abendessen ins Kinderzimmer kam, setzte er sich auf den Bettrand.

„Hier, iss schnell, ich habe ein Stück Brot für dich.“

Susi wusste aber, dass er bestraft werden würde, wenn man sie beim Essen erwischte. „Danke“, flüsterte sie, „ich verstecke es erst mal“, und schob es in den Puppenwagen unter ihre Puppen. Sie würde es essen, wenn alle im Bett waren und sie sicher sein konnte, dass niemand mehr von den Erwachsenen das Zimmer betrat.

„Ja, gut“ auch Ralf kannte die Folgen und war froh, dass die kleine Schwester schon so klug war, sich so gut ver­stellen zu können. Er strich ihr über die Stirn. „Wein nicht mehr so, davon werden die Kopfschmerzen nur schlimmer, ich kenne das.“ Wie oft gab es mal eben eine Ohrfeige so im Vorbeigehen, nur weil man nicht Bitte oder Danke sagte, weil man ein Wort mit vollem Mund gesprochen hatte, weil man versehentlich etwas umwarf, weil man nicht die beste Note bekommen hatte, weil man versehent­lich eine Tür geknallt hatte, weil man am Tisch den müden Kopf aufstützte, weil …. Ach, es war müßig über das viele Weil nachzudenken, denn man konnte immer etwas falsch machen.

 

                                       *

 

„Nein, Mutti, bitte nicht!!!“ Entsetzt sah Susi, wie ihre Mutter zum Kleiderschrank ging und nach oben griff. „Entschuldige bitte, entschuldige bitte. Ich mache das nicht mehr!“

Angstgeschüttelt wusste sie nun, was kam. Gnadenlos tanzte der Stock über das Kind, das nun haltlos aufschrie. „Nie wieder wirst du mich bestehlen oder belügen!“ Bei jedem Wort ein harter Schlag. Das Mädchen krümmte sich im Schmerz. „Bitte … entschuldige … ich … mache … es … nicht … mehr … bitte …!“ Abgehackt kamen die unter Schluchzen hervorgestoßenen Worte, aber die Frau war wie in Trance und hob den Arm und damit den folternden Stock und ließ ihn mit aller Kraft niedersausen, wieder und wieder und wieder …

 

Susi lag auf ihrem Bett und wusste, sie war schuldig. Sie war eine Diebin. Sie musste bestraft werden. Ja, das hatte sie verdient. Sie würde auch in die Hölle kommen, von der der Pfarrer so eindrucksvoll erzählt hatte. Dabei wollte sie doch nur einmal mit dem Karussell fahren. Warum hatte sie das nur gemacht?

Einige Kirmeswagen erregten die Kindergemüter. Auf dem Marktplatz konnten sie auf dem Schulweg sehen, wie Bude für Bude aufgebaut wurde. Und dann ein Karussell mit Kutschen, Pferden, mit einer Lok, einem Feuerwehr­auto, mit Schweinen und Motorrädern … welch ein Traum.

„Mutti, bitte, können wir auch auf die Kirmes? Renate und Walter dürfen auch gehen?“

„Nein, dafür haben wir kein Geld übrig.“ Ganz klar die Absage und wie immer bettelte Susi auch nicht weiter, sie wusste, es war zwecklos. Aber täglich fühlte sie diesen Druck in der Brust und diese Unruhe, wenn sie an dem Ka­russell vorbeikam.

Und dann musste Mutti in den Keller … und da lag Muttis Geldbörse auf dem Tisch … und schon hatte Susi sie in der Hand … und schon war sie offen. Ihre Augen wurden groß. „Da ist doch so viel Geld!“, schrie es in ihr. „Wa­rum dürfen wir nicht gehen? Sie wollen alles Geld nur für sich haben …“

Natürlich wusste das Mädchen nichts von Lebenshal­tungskosten und wie teuer alle Dinge waren. Sie sah die vermeintlich vielen Münzen und nahm sich zwei heraus. 20 Pfennig. Das kannte sie. Karussell fahren kostete 5 Pfennig. „Ich bin reich“, jubelte es in ihr, während sich ihre Faust fest um das Geld schloss. Sie legte mit Herz­klopfen die Börse zurück auf den Tisch, ungeübt im Steh­len hatte sie vergessen, diese wieder zu schließen, verließ die Wohnung, rief noch kurz in den Keller: „Ich gehe zu Renate!“, und ging, nein, rannte los. Richtung Markt. Kir­mes ‑ nun würde sie auch mitreden können. Wie viel hat­ten die anderen schon erzählt. Ihr Herz klopfte und ihr war schlecht vor Angst. Sie wusste, wenn es heraus käme, würde es ganz schlimm für sie werden. Aber die Sehnsucht, mitmachen zu können, auch das wunderbar Gesehene und Gehörte erleben zu können, war größer als alle Angst.

Sie stellte sich am Schalter an und legte das Geld hin.

Vier Karten gab die nette alte Frau ihr und sagte: „Viel Spaß, Prinzesschen, nimm die Kutsche.“ Ganz aufgeregt, mit hochroten Wangen wartete sie nun, dass das Karussell anhielt.

„Oh Susi, du kannst Karussell fahren?“ Mit großen Augen stand Marion Mettbach vor ihr. Klein, drahtig, mit schwar­zem Lockenhaar, kohlschwarzen Augen und dunklerer Haut, konnte man sehr gut das Zigeunerblut in ihr erken­nen. An der Hand hielt sie Richard, ihren kleineren Bruder, der mit weit aufgerissenen, kohlschwarzen Augen das Drehen des Karussells mit sehnsüchtigen Blicken ver­folgte.

„Wir können nicht mitfahren, wir haben kein Geld dafür“, seufzte Marion. Susi fühlte den Schmerz und die Resigna­tion in der Stimme der anderen, den sie selbst beim An­blick dieser wunderbaren, unerreichbaren Dinge gestern noch gefühlt hatte.

„Kommt mit, ich habe genug Karten!“, rief sie spontan und streckte ihre Hand aus. Ungläubig griffen die Kinder nach den hingehaltenen Schätzen.

„Oh Susi, danke, du bist so lieb.“ Und schon strebten alle drei ganz nach vorn, wo gerade wieder eine Fahrt beendet war und Kutschen, Pferde, Feuerwehrautos und Motorrä­der für neue Gäste bereit standen. Tier oder Fahrzeug, was nehme ich nur? Sie fuhr mit der Kutsche. Wieder und wie­der drehte das Gefährt seine Runden und als es stillstand, konnte Susi noch eine Fahrkarte hingeben und weiterträu­men. Ja, wie eine Prinzessin kam sie sich vor, nein jetzt war sie eine Prinzessin. Sie träumte von dem großen Schloss und dass alle ihr zuwinkten. Und lächelnd winkte sie aus der Kutsche. Und die Menge rief ihren Namen

„Suuusiii!“, und sie winkte weiter, überglücklich und ihr Name wurde noch lauter gerufen: „Suuusiii!“ Und die Kutsche hielt an. „Susi!“ Sie schreckte hoch. Nein, das hörte sich nicht nach einem frohen Zuruf an, das war die völlig erboste Stimme ihrer Mutter.

Eine harte Hand umschloss ihr Handgelenk und sie wurde mitgerissen …

Und nun lag sie im Bett. Ohne Essen ins Bett war die ei­serne Regel nach den Prügeln. Ich möchte weg sein … ich möchte weg sein … ich möchte weg sein … Immer wieder gingen diese Gedanken durch ihren Kopf und schluchzend, wieder einmal, schlief sie ein, mit der Gewissheit, dass sie diesmal alles, aber auch wirklich alles verkehrt gemacht hatte.

 

                                             *

 

Ein Sonnabend Nachmittag wie jeder andere, Matthias ar­beitete noch im Büro, Ralf und Susi saßen nach Schule und Mittagessen still lesend an dem großen alten Tisch im Kinderzimmer. Auf der Erde vergnügte sich Thommi fröhlich plappernd damit, eine Holzlokomotive anzukauen, zu besabbern und glucksend zu lachen. Den beiden größe­ren war nicht nach Lachen zumute, denn die laute Stimme der Mutter kam näher und schon schob sie den weinenden Martin ins Zimmer.

„Noch ein Mal, dann gibt es etwas mit dem langen Heinrich!“ Drohend klang es und Susi kroch fast in ihr Malblatt rein, um ja nicht aufzufallen. Doch Martin war heute mal wieder besonders bockig. Er kreischte los:

„Egal, ganz egal, ich gehe jetzt weg und komme nie mehr wieder!“, stapfte zornig weinend an der Mutter vorbei, Richtung Korridortür, die er auf Grund seiner Größe gar nicht öffnen konnte, denn der hoch angesetzte Türgriff der uralten Kassettentür war noch unerreichbar für ihn, außer­dem war abgeschlossen.

„Ich gehe jetzt, ich gehe weg!“ Noch einmal bekräftigte er das Gesagte mit einem Fußstampfen. Susi und Ralf sahen sich atemlos an. Sie wussten genau, was nun kam. Susi rollten schon im Voraus aus Angst und Mitgefühl die Trä­nen über die runden Wangen. Doch wie sehr wunderten sich die beiden, als sie Muttis Stimme, völlig verändert, ruhig, freundlich, sagen hörten: „Du hast recht, ich komme mit. Ich habe auch keine Lust mehr, hier zu bleiben.“

Noch ein kurzer Ruf Richtung Kinderzimmer: „Ralf, pass auf die Kleinen auf!“ Wenig später fiel die Tür ins Schloss.

„Was ist denn nun? Kommen die nicht wieder?“ Ängstlich klang Susis Stimmchen und sehr verzweifelt. Ralf nahm fast automatisch Thommi von der Erde hoch, schnupperte an ihm, legte ihn dann zum Wickeln auf die Kommode.

„Ich weiß nicht, was nun wird, sicher kommen die gleich zurück.“

Doch er war unendlich verwirrt. So war ein solcher Disput noch nie ausgegangen. Er erinnerte sich, dass Martin von Babyzeiten an besonders schwierig war, aber auch schon sehr früh feste Schläge auf den Po bekam, weil er beson­ders viel schrie, später, weil er nie auf das hörte, was man ihm sagte. Nur durch einen Zufall hatten dann die Eltern entdeckt, dass er gar nichts hören konnte, die Ohren von Ohrenschmalz total zu waren und von dem alten Hausarzt erst von dem Verschluss befreit werden mussten. Kein Wunder also, dass er immer völlig verwundert war, wenn für ihn aus heiterem Himmel plötzlich Schläge auf ihn einprasselten.

Ralf wurde sehr ruhig, er war enorm angespannt, wusste er doch mit seinen elf Jahren auch nicht genau, wie nun der Tag weitergehen würde. Er tat sein Bestes. Gab den Ge­schwistern etwas zu trinken, spielte mit ihnen und tröstete sie, wenn die Tränen kullerten, wickelte Thommi. Immer wieder ging sein Blick zur Uhr, Stunde um Stunde verging und nichts, nie­mand kam … Doch gegen Abend, als er schon überlegte, ob er Abendessen vorbereiten müsse, hörte er die Tür und da schob Amelie auch schon Martin, der glücklich strahlte, ins Zimmer.

„Wir haben Eis gegessen und einen Film gesehen“, be­richtete er fröhlich und widmete sich dann seinen Spielsa­chen, bis die Mutter zum Abendessen rief. Susi und Ralf wollten es nicht glauben. Was war anders, warum hatte er statt Prügel für sein lautes, böses Schreien und Fußstamp­fen eine Belohnung bekommen, die es allerhöchstens mal in ganz, ganz seltenen Ausnahmefällen an Sonn- oder Feiereier­tagen gab? Ein scheuer Blick auf die Mutter in der Küche, die vor sich hin summend Thommi fütterte. Nein, das war wirklich nicht zu verstehen, wie auch, wie konnten die Kinder nachempfinden, dass Amelie es so satt war, nur zu putzen, zu waschen, Nasen zu wischen, Prügel anzudrohen oder zu verteilen. Ja, weglaufen, das wäre es und so gab ihr der Sohn den Anstoß, einfach mal etwas Verrücktes zu machen.

Ihr fielen die wunderbaren Jahre ein, in denen sie in München als Schauspielerin gearbeitet hatte, auf Tournee mit vielen Kollegen, vergessen der Ehemann in Gefangen­schaft, den Sohn gut aufgehoben bei der Großmutter. Na­türlich war sie, hübsch und jung, schnell im Mittelpunkt der männlichen Begierden, denen sie dann auch verfiel, sich infizierte und so die tückische Geschlechtskrankheit später an den heimkehrenden Gatten weitergab, da sie meinte, sie hätte diese nach ärztlichen Behandlungen ausku­riert …

Natürlich hatte sie nun ein ganz klein wenig ein schlechtes Gewissen, weil Geld ausgegeben war, das sicher für an­dere Dinge dringender benötigt wurde, aber sie fühlte sich dennoch gut, einmal nur ausgebrochen zu sein, nur mit ei­nem Kind mal etwas tun zu können, was mit allen zusam­men immer nur Aufregung, ein wachsames Auge, Hektik und viel Anstrengung mehr bedeutet hätte, finanziell gar nicht möglich gewesen wäre. So setzte sie sich nach dem Abendessen mit allen Kindern zusammen und las noch etwas vor, damit auch die übrigen ein wenig an ihrer guten Stimmung teilhaben konnten.

 

 

 

                                           *

„Susi, du musst jetzt ganz tapfer sein. Du fährst für eine Zeit zu Onkel Norbert und zu Tante Maria, denn Mutti ist im Krankenhaus und Oma schafft es nicht mit allen Kin­dern.“

Matthias nahm die Kleine auf den Schoß. Trotz aller Härte liebte er ja seine Kinder. Aber nun war er völlig aufgelöst, denn Amelie war zusammengebrochen, schwere Blu­tungen und lag im Krankenhaus. Die Arbeit mit den Kin­dern, im Büro, der Haushalt wuchs ihm über den Kopf und er war dankbar, dass seine Schwiegermutter sich auf den Weg gemacht hatte, um ihm einiges abzunehmen und er die kleine Tochter wieder bei seinem Bruder unterbringen konnte.

Oma Helene lebte allein in Siegen. In der ersten Ehe ging ihr Mann fremd, das ließ sie sich nicht gefallen und war sehr schnell geschieden, dann in der zweiten Ehe früh verwitwet. So eine große Familie war sicher eine Zumutung für sie, hatte sie doch - nachdem ihr kleiner Sohn, erst fünfjährig, ganz plötzlich verstarb - nur die eine Tochter großgezogen, wobei diese auch sehr viel Zeit bei den Großeltern verbrachte. - Sicherlich machte Susi keine unnötige Arbeit, aber es musste ja auch ein Schlafplatz für die Oma ge­schaffen werden. So wurde ein Kind ausquartiert und wie immer traf es das kleine Mädchen, denn Susi war will­kommen bei allen, da sie so leicht lenkbar und fügsam war, dass sie immer schnell untergebracht war.

Nun saß sie starr und mit aufgerissenen Augen vor ihrem Vater. Zu Tante Maria und Onkel Norbert! Oh, wie wun­derbar. Blitzartig fielen ihr die wunderbaren Sachen wie­der ein, die sie dort vor zwei Jahren erlebt hatte. Aber durfte sie sich freuen? Sie schaute ihren Vater an. Sein trauriges und sorgenvolles Gesicht bremsten sie in einem beginnenden Freudenausbruch und sie antwortete nur, „Ja, ist gut. Und was ist mit meiner Schule?“

„Du wirst dort zur Schule gehen. Ich habe schon alles mit Onkel Norbert besprochen, ich konnte von der Firma aus telefonieren und er hat dich an Annes Schule angemeldet.“

Susi bebte innerlich vor Freude. Alle wieder sehen, wieder so herrlich spielen können. Sie konnte es gar nicht erwar­ten. Und dann war es endlich so weit.

Vati brachte sie zum Zug, ganz fest umschloss seine Hand die kleine Kinderhand und Susi fühlte die Wärme, die trotz der steten Strenge von ihm ausging, und hatte dieses wun­derbare, beschützte Gefühl. Sie erreichten den Bahn­hof, an dem wie vor zwei Jahren Onkel Adolf schon war­tete. Ganz vertraut war er ihr, denn ab und zu besuchten sich die Familien und sie hatte auch schon öfter mal zwei oder drei Tage bei ihm und seiner Familie verbracht.

„Hallo Prinzesschen, ich habe einen schönen Platz für dich reserviert, am Fenster, da kannst alles sehen.“

Er nahm das Mädchen auf den Arm und hob sie dann mit einem Schwung auf die Plattform des Zuges. Vati hob den Koffer hoch und gab ihr noch einen Kuss.

„Sei schön lieb und ärgere Niemanden!“

„Ach was“, lachte Onkel Adolf, „unser Prinzesschen ist doch viel zu lieb, mach dir keine Sorgen!“

Und schon ertönte das Pfeifsignal und die Fahrt ging los.

Susi schaute aus dem Fenster und winkte, winkte so lange, bis nichts mehr zu sehen war. Wie aufregend doch alles war und wie anders als bei der letzten Fahrt. Nun konnte sie alle Namen der Stationen lesen, die der Zug auf seinem Weg durch das herrliche Sauerland anlief. Wunderbare Wiesen und Wälder huschten an dem Mädchen vorbei. Ganz kurz erschien ihr die Fahrt gewesen zu sein, als On­kel Adolf mal wieder den Kopf ins Abteil steckte und rief: „Wir sind gleich in Prinzessinnenhausen!“ Susi lachte, er war aber auch immer lustig. Er hatte sie auch schon mal an seinem Bier trinken lassen, aber wie entsetzt war sie, als sich herausstellte, dass dieser wunderbare, weiße, so ver­heißungsvoll aussehende Schaum total bitter schmeckte. Sie hatte sich angewidert geschüttelt und er hatte sich ge­bogen vor Lachen. Noch ein paar Minuten und dann lief der Zug auch schon ein. Letmathe, nun war sie da. Immer langsamer schnaufte der Zug und da, da standen sie ja schon und nun liefen sie neben dem Zug her. Alle waren gekommen.

Onkel Norbert, Tante Maria, Anne … wie schön! Ihre Au­gen leuchteten, als die Tür aufging und sie mit einem Sprung in Onkel Norberts Armen landete.

Welch eine Begrüßung. Onkel Adolf fühlte die Rührung aufsteigen und dachte nur, wie gut das Kind es doch ge­troffen hatte.

„Susi, was bist du groß geworden!“ Die Verwandten um­ringten das glücklich strahlende Kind. „Wie schön, dass du wieder kommen durftest.“

„So, nun bist du wieder bei uns zu Hause!“ Susi staunte, sie hatte ein anderes Zimmer bekommen. Anne schlief mittlerweile in einem Zimmer in Oma Webers Reich und sie durfte in dem verwaisten Bett schlafen. Sofort ent­deckte sie etwas, was sie bei ihrem ersten Besuch noch gar nicht wahrgenommen hatte. Bücherregale voll mit Büchern. Trotz­kopf, Goldköpfchen, immer viele Folgen, Märchenbücher …

Mit heißen Wangen fragte sie ganz aufgeregt, „Darf ich die alle lesen?“

„Aber ja, wenn du schon etwas lesen kannst. Du bist ja erst in der ersten Klasse.“

„Aber ich konnte schon vor der Schule lesen, Ralf hat es mir immer, wenn wir allein waren, gezeigt.“

Norberts Augen ruhten liebevoll auf dem Mädchen. Wie war sie gewachsen. Erregung hatte sich seiner bemächtigt, als er sie am Zug im Arm hielt. Welch glückliche Zeit lag vor ihm. Er konnte nicht genug bekommen, das Mädchen zu beobachten, was seiner Frau nicht entging.

„Schön, sie wieder hier zu haben“, lächelte sie ihn an und er nickte und hielt ihre Hand fest, die sich in seine schob.

„Ja, “ sagte er. „Schön, wieder etwas Kleineres im Haus zu haben. Anne ist schon so groß, mit ihren fast dreizehn Jah­ren.“

„Komm Susi!“ Anne zog die kleine Kusine mit sich. „Wir müssen Oma und Opa begrüßen, die freuen sich schon auf dich und Oma hat einen großen Kuchen gebacken.“

Susi fühlte sich nur noch wie im siebten Himmel. Auf Wolken schwebend sog sie die fast vergessene, aber sofort wieder vertraute Umgebung in sich auf, genoss die Zu­wendung, die Freude, die ihr entgegenkam und sie ein­hüllte in ein Meer von Glück und Wohlbehagen. „Ja, ich bin auch hier zu Hause“, dachte sie und in dieser Nacht schlief sie ruhig und fest.

 

                                         *

 

„Ich fahre jetzt, die Straßenbahn kommt gleich!“ Tante Maria winkte, noch schnell Kusshändchen, und schon war sie weg. Sie wollte zu ihrer Schwester nach Schwerte, de­ren Mann es nicht gut ging.

Susi stand am Fenster und winkte noch, bis die Bahn um die Kurve gefahren war und sich den Blicken entzog.

Schnell ergriff sie das eben weggelegte Buch, um weiter zu lesen, um zu erfahren, wie es dem Trotzkopf im Internat erging … Internat war eine Schule, in der man auch wohnte … eben weg von zu Hause. Das war doch nicht schlimm!

Norbert löste sich vom Fenster des Nebenzimmers. Heiß fühlte er sich. So ein freier Tag, Maria in Schwerte, Anne zum Geburtstag einer Freundin, Oma bei ihrer Kusine und der Opa mal wieder auf Wanderschaft.

Mit fliegenden Händen räumte er sein Schreibtischfach aus. Seine neue Kamera, eine Yashika 8 mm Schmalfilm­kamera U-MATIC, das Allerneueste auf dem Markt, einen neuen Film, schnell einlegen, Mist, wenn es schnell gehen soll … er wischte die feuchten Hände an seiner Hose ab. Wo war die Lampe? ‑ Ach ja, Maria hatte Lampe und Sta­tiv in den Abstellraum gepackt … so, umziehen … seine Hände zitterten, als er alle Kleidung ablegte und nur leichte Shorts anzog. Leise betrat er das Zimmer, wo Susi tief versunken in Ilses Geschichte auf dem Sofa lag.

„Püppe?“ Leise fragend näherte er sich dem Kind.

„Jaaa.“ Susis Kopf hob sich.

„Schatz, erinnerst du dich noch an unser Geheimnis?“

Susi lachte. „Oh ja, ich durfte in deinem Film mitspielen.“

„Wollen wir das weiterfilmen? Der Film wurde ja nicht fertig, weil du nach Hause zurück musstest.“

Ein wenig widerwillig, weil sie das geliebte Buch wegle­gen musste, erhob sich Susi. Als sie aber ihren Onkel an­schaute und seine liebevollen Blicke sah, nickte sie. Wie gerne tat sie etwas für ihn und Tante Maria. Die hatten sie doch erst gestern in ihren ersten Kinofilm mitgenommen und hingerissen von dem Prinzen, den Zwergen und der Prinzessin, die den wunderbaren Namen Schneewittchen hatte, dachte Susi nun nur noch an Film und Foto.

Willig posierte sie, wie ihr Onkel es von ihr wünschte, tanzte nackt durch das Zimmer, machte eine Brücke aus dem Stand, stolz, dass sie das schon so gut konnte, und immer surrte die Kamera mit. Nein, ihr war nicht bewusst, was der Onkel filmte, wenn sie mit breit gegrätschten Bei­nen die Brücke machte …

Nun befestigte der vollkommen erregte Mann die Kamera auf dem Stativ.

„Komm her zu mir, nun wollen wir beide hier auf dem Sofa sitzen und zusammen auf das Bild kommen.“

Er zog das Kind an sich und streichelte es, ganz zart und langsam, um es nicht zu verschrecken. Ein Kuss auf den kleinen flachen Bauch, einer auf die erst angedeuteten kleinen Brustwarzen. Susi lachte. „Das kitzelt aber doll!“

Er lachte und sagte, „Das kannst du doch mit mir auch ma­chen.“

Und schon schoben sich die kleinen Hände auf ihn und kitzelten und bewegten sich … er stöhnte … Erschrocken hielt das Kind inne.

„Hab ich dir wehgetan?“

„Ja, du musst aber nur ein Küsschen drauf tun, dann ist alles wieder gut“. Und so beugte sich das Mädchen an eine Stelle unterhalb seines Bauchnabels, wohin er mit dem Finger gezeigt hatte und pustete und gab ein paar schnelle Küsse an die Stelle.

Norbert legte das Kind nun auf das Sofa und begann es zu streicheln. Ganz still hielt Susi. Das war ein sehr schönes Gefühl.

„Komm, mach die Augen zu, dann ist es wie ein Mär­chen“, flüsterte der Mann heiser. Folgsam, wie gewohnt, schloss die Kleine die Augen und ließ die Hände des On­kels wandern. Sie zuckte zusammen, als seine schlanken Finger sich zwischen ihre Schenkel schoben, aber schon kam die beruhigende Stimme des Mannes, dem sie total vertraute, „mach einfach die Beine etwas auseinander, dann kitzelt es nicht so.“ Langsam schob er einen Finger weiter, er zog ihn zurück und leckte ihn ab, schob ihn wie­der weiter.

„Aua!“, entsetzt riss Susi die Augen auf, Onkel Norbert hatte ihr wehgetan. Doch sofort schloss er sie in die Arme.

„Entschuldige, Püppe, mein Ring hat dich wohl etwas ge­kratzt.“

Susi nickte, mit Tränen in den Augen. Wenn er das so sagte, stimmte das wohl, dachte sie.

Beruhigend streichelte er nun wieder ihren Rücken und Bauch. „Komm, Schätzchen, mach die Beine auseinander, ich gebe ein Küsschen drauf und alles ist wieder gut.“

Wie erwartet öffneten sich die kleinen Schenkel wieder und er leckte einmal ganz kurz und schnell durch die win­zige, sich ihm darbietende Spalte und richtete sich dann auf. Dieser Genuss war für ihn überwältigend. Wie eine Explosion schüttelte ihn der immer wieder hinausgezö­gerte Orgasmus. Stöhnend holte er Luft ‑

…und sah das Kind.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte es ihn an … voller Angst und Schrecken, was es denn nun falsch gemacht habe und welche Strafe nun wohl kommen könnte.

Beruhigend nahm er sie in den Arm. Beschwichtigend, lie­bevoll und von großer Bedeutung für lange Zeit waren die folgenden Sätze für sie:

„Du bist mein kleines Mädchen und du bist mir das Aller­liebste auf der Welt. Ich möchte dich gar nicht mehr her­geben. Und ich möchte dich für lange, lange Zeit bei mir behalten. Du darfst nur nie unser Geheimnis verraten, denn Mutti und Vati werden sehr böse mit dir sein; wenn sie merken, wie lieb wir uns haben, wirst du wieder Schläge bekommen, das willst du doch sicher nicht und dann darfst du nie mehr zu uns.“

Ernst nickte das Kind. Sie erinnerte sich an das erste Mal, als sie hier war. Da hatte Onkel Norbert auch schon so et­was gesagt. Also war es doch wichtig. Nein, sie würde nichts erzählen, denn dann dürfte sie nie mehr her? Aber warum denn nur? Sie war doch sehr artig, keiner schimpfte mit ihr, sie tat alles sofort, was man ihr sagte …

„Ich weiß, das ist unser großes Geheimnis und ich muss sehr artig sein“, bestätigte sie und er lächelte.

„Du bist ein wirklich großes, gescheites Mädchen. Und nun ziehen wir uns an und ich mache dir einen leckeren Kakao.“ Obwohl sie Kakao nicht so gerne mochte, nickte sie.

Schon wenige Minuten später saßen sie an dem großen Küchentisch und tranken ihren Kakao, der Susi viel zu süß war.

„Darf ich wieder lesen?“ Ganz klein und piepsig war ihre Stimme, als hätte sie Angst, überhaupt etwas zu sagen.

„Aber natürlich darfst du lesen, warum denn nicht. So ein liebes Mädchen bist du.“ Und glücklich lief die Kleine zu ihrem Buch, um wieder in eine andere Welt, ein anderes Ich einzusteigen.

Bedrückt sah er ihr nach. Sein schlechtes Gewissen mel­dete sich kurz, aber mit einer Handbewegung wischte er alles weg. Sie ist glücklich hier, wir verwöhnen sie, also geht es ihr besser, als zu Hause. Schläge sind schlimm für die Kinder. Und bei mir macht sie alles freiwillig mit, ja, es gefällt ihr bestimmt auch.

Und schon war der mahnende, belastende Gedanke an das Unrecht weggewischt und wieder vergessen.

In aller Ruhe räumte er seine Kamera und alles Zubehör weg.

Den Film musste er einschicken. Er hatte eine Adresse, wo er diese Filme entwickeln lassen konnte und woher er auch Filme anderer Gleichgesinnter beziehen konnte. Einige Filme besaß er schon. Die seiner Stieftochter, die er als ganz kleines Mädchen in eindeutigen Posen filmte und die er von Susi bei ihrem ersten langen Besuch gedreht hatte. Er musste alles gut verstecken. Er hatte einen Platz, an den Maria nie ging, da waren seine Schätze wohl bewahrt.

Maria kannte nur die Nacktfilme von ihrer kleinen Anne, die er in ihrem Beisein gedreht hatte. Filme auch von Westerland, wohin sie sehr gerne im Sommer an den Nacktbadestrand fuhren. Auch Maria und er waren dort nackt zu sehen, beim Sand buddeln, beim Schwimmen und spazieren gehen. Alles nackt, aber völlig normal.

 

Hastig atmend, röchelnd durch den Qualm der brennen­den Stadt hetzend, immer wieder um Atem ringend, Sekun­den verschnaufend … „.ich muss weiter“… alles rannte, hetzte, schrie… Da ‑ ruckartig blieb die junge Frau stehen … ein Wimmern, ein Schrei, noch einer … so anders als das wogende, gleich bleibende Geschrei der rennenden Menschen … und wieder, so klagend, so ergreifend … sie stand und blickte zurück. „Ich muss helfen … ich bin ge­meint“, schoss es ihr durch den Kopf ... „Ich werde ge­rufen!“

Doch die eigene Angst übermannte sie, hilflos schrie nun auch sie …

 

„Norbert, Nooorbert, wach auf, die Kleine schreit wieder mal im Schlaf.“ Maria schüttelte noch schnell ihren Mann, bevor sie zu dem Kind lief und es in den Arm nahm. „Susi, du bist hier bei uns, wach auf, es gibt hier kein Feuer. Wach auf Schätzchen, du bist sicher!“

Das schluchzende Kind stammelte wieder einmal nur „Feuer, ich muss zurück, wir verbrennen …“

Erschrocken schaute Maria ihren Mann an. „Was machen wir nur mit ihr? Welche Ängste hat das Kind? Was hat sie mit Feuer zu tun?“ So viele Fragen und keine Antworten.

Norbert nahm Susi in den Arm. „Komm, du schläfst heute bei uns. Da kann nichts passieren.“

Und wieder einmal beruhigte sich die Kleine sehr schnell und schlief zwischen den besorgten Eheleuten friedlich ein.

Und Norbert wusste genau, als er dieses weiche Kind im Arm hielt, dass er es kaum würde aushalten können, bis er wieder ganz eintauchen konnte in den Geruch des warmen, kindlichen, nackten Körpers, der ganz sein eigen werden sollte. Seine Phantasien verstiegen sich zu Momenten der Lust, in denen er sich vorstellen konnte, in das kleine Mädchen nicht nur mit einer Fingerspitze einzudringen, den süßen, verlockenden Saft der Unschuld zu lecken, zu schlürfen.

Seine Lust überkam ihn heiß. Er berührte seine Frau am Arm. „Komm noch mal mit ins Wohnzimmer“, flüsterte er.

Erstaunt folgte sie ihm.

Er riss sie in die Arme, bedeckte ihr Gesicht mit Küssen, schob sie auf das Sofa, wo er wild und hemmungslos in sie eindringen konnte, weil sie sich ihm entgegen hob mit weit gespreizten Schenkeln, hemmungslose Lust auskostend, angetrieben von der Begierde, das kleine Wesen nebenan so besitzen zu können. Und Maria genoss stöhnend auch ihre Lust, ohne zu ahnen, was bei ihm diesmal der Auslö­ser gewesen war.

Sie bemerkten nicht das kleine Mädchen, dass verwirrt an der Tür stand, aufgewacht durch die plötzliche Leere um sie herum, den Geräuschen folgend.

 

                                        *

 

Die Zeit raste.

Schnell hatte sich Susi in das neue Schulleben eingelebt, ja, sie genoss es, von allen immer wieder angesprochen zu werden, warum sie denn nicht bei ihren Eltern war. Immer wieder erzählte sie von zu Hause, der kranken Mutter im Krankenhaus, von den Brüdern und stellte schnell fest, dass die Kinder an ihren Lippen hingen, wenn sie sprach. Die Lehrer waren beeindruckt von der flüssigen Erzähl­weise und wie leicht dieses Kind mit allem fertig wurde. In der Beurteilung von Susis alter Schule stand etwas über ein sehr ruhiges, in sich gekehrtes, aber auffallend schnell verstehendes Kind. Da war man hier doch über die Leb­haftigkeit und Teilnahme am Unterricht sehr erstaunt. Wissbegierig nahm sie alles an, was an Stoff geboten wurde.

Bei einem Gespräch mit den derzeitigen Erziehungsbe­rechtigten kam dies auch zum Ausdruck.

„Susi begreift sehr schnell und ist eine ungeheuer begabte Leserin und Erzählerin. Sie macht fast nie einen Fehler.“ So lautete einhellig das Urteil, anlässlich eines Eltern­abends, zu dem Norbert selbstverständlich hinging.

Voller Lob für diese gute Bewertung bekam das Mädchen nun ein Versprechen für einen wunderbaren Ausflug. Und an einem milden Sommertag fuhren alle in die nahe Tropf­steinhöhle, die Dechenhöhle.

Zwei Eisenbahnarbeiter ver­loren 1868 einen Hammer in einem Felsspalt. Sie ließen sich an einem Seil runter und standen plötzlich in der wunderbaren Welt der Tropfsteinhöhle, die sich tief in den Berg erstreckte.

Welch ein Anblick bot sich nun den Besuchern dar.

Mit großen, staunenden Augen ging das Kind durch diese, von vielen Lampen angestrahlte Unterwelt, die für sie der Inbegriff aller wunderschönen Märchen war.

„Wenn wir ganz weit, immer weiter laufen, dann kommen wir bestimmt zu der Schneekönigin!“

Ganz aufgeregt zählte sie Einzelheiten dieser schönen Ge­schichte immer wieder auf, die sie jetzt schon mehrmals gelesen hatte.

Anne mit ihren nunmehr fast dreizehn Jahren kicherte. „Das sind doch nur Märchen, nicht Wirklichkeit!“, ver­suchte sie die kleine Kusine zu dämpfen und auf den Bo­den der Tatsachen zurückzuholen. Doch diese hörte gar nicht hin. Gefangen in ihrer Traumwelt erlebte sie diesen Ausflug wie das Wahrwerden der Geschichte und konnte sich kaum daraus lösen.

Viele Tage noch nach diesem schönen Erlebnis kamen ihr immer wieder die glitzernden Steine in Erinnerung und dankbar, dass Onkel Norbert ihr so schöne Dinge zeigte und auch versprach, noch einmal mit ihr dahin zu fahren, ließ sie sich folgsam, willig auf seine erneuten Übergriffe ein.

Norberts Atem ging fliegend. Vor ihm lag das nackte Mädchen, bereitwillig, wie seine Anweisung lautete, die Beine gespreizt, seine Kamera surrte.

Ganz dicht ging er heran. „Komm, Püppi, mach mal eine Brücke!“

Susi, stolz, dass er sie immer wieder lobte, führte dies so­fort aus. Auf der Stirn des nackten Mannes bildeten sich Schweißperlen, die ihm in die Augen rollten.

Ein bereit gelegtes Handtuch wischte diese schnell weg … „Bleib so!“, ganz heiser klang seine erregte Stimme. Er beugte sich vor, kniete vor dem Sofa nieder und legte seine Lippen auf dieses kleine Paradies, seine Zunge leckte und …

Susi plumpste kichernd zur Seite …

„Das kitzelt aber zu doll!“, lachte sie. Er packte sie und drückte sie an sich, seine Lippen legten sich auf den klei­nen festen Mund. „Komm, Schätzchen, lass die Lippen weich werden, zauber mal den Mund ein wenig auf.“

Eigentlich fand Susi es eklig, wenn Onkel Norbert seine Zunge in ihren Mund schob, aber wenn er es doch so wollte, sie bekam so viele Streichler von ihm und Überra­schungen, da durfte sie doch nicht Nein sagen. Nun saß sie wieder auf seinem Schoß.

„Onkel Norbert!“ Ganz erschrocken war sie, „hier ist ja alles wieder ganz hart!“

„Ja, mein Schätzchen, das tut auch sehr weh, da musst du mir wieder helfen, dass es besser wird!“

Susi nickte gehorsam, sie kannte es schon. Es tat weh, als er einen Finger wieder und wieder in die kleine, enge Scheide schob, seine andere Hand legte er um ihre kleine Faust, die er über sein Geschlechtsteil führte.

Er stöhnte. Susi tat alles weh, aber ihm ging es ja wohl viel schlechter, sie beobachtete ihn, ja sicher, er hatte bestimmt Schmerzen, ganz bestimmt ging es ihm schlecht, so ver­zerrt war sein Gesicht, so laut wurde sein Stöhnen, sie musste ganz still halten und tun, was er wollte, dann ging es ihm gleich besser … immer wieder leckte er seinen Fin­ger, den er aus ihr zog, ab und schob ihn wieder rein.

„Aaah!!!“ Ein wilder Samenerguss schüttelte ihn … Susi rührte sich nicht. Ihre kleine Hand, noch das Glied fest umschließend, war über und über beschmiert mit dieser Wackelpetermasse, wie Onkel Norbert das genannt hatte.

Er nahm nun das Tuch, wischte sich und das Kind ab, legte die Kleine, nun ganz die Stille, ihn Beobachtende zurück auf das Sofa, bedeckte ihren Körper mit vielen kleinen Küssen, entfernte das Öl, das er für den Finger benutzt hatte, von ihr und streichelte sie beruhigend, denn sie weinte ganz still vor sich hin.

„Habe ich dir so wehgetan?“

„Ja!“, hauchte das Kind.

„Das ist nicht schlimm“, flüsterte er „wenn dein Vati oder die Mutti dich mit dem Stock hauen, ist es doch sicher viel schlimmer? Von mir bekommst du immer eine Belohnung, weil du so artig bist und mir so lieb helfen kannst, damit es mir wieder gut geht.“

Susi wischte sich schnell die Tränen ab, ja, das war schlimmer, da hatte er sicher recht. Hier musste sie nicht ohne Essen ins Bett, keine blutroten Striemen brannten auf der Haut, sichtbar in den Sportstunden. Nicht wissend, wie sehr er sie manipulierte, ausnutzte auf die schäbigste Art, umarmte sie ihn und küsste ihn, auf seine Aufforderung hin auf den Mund, die Wangen, das Kinn. Kleine, dank­bare Kinderküsschen. Dankbar, dass es vorbei war, dank­bar, dass er immer beteuerte, sie so sehr zu lieben, dankbar für die kleinen Überraschungen, dankbar vor allem dafür, dass sie keine Schläge bekam.

                                   *

 

„Wach auf Norbert, die Kleine spricht im Schlaf.“

Maria war schon aus dem Bett und bevor er richtig merkte, was geschah, hatte sie schon das Kind in die Arme ge­schlossen.

„Püppi, was ist denn, wir sind doch bei dir!“

Susi schaute hoch. Hellwach waren ihre Augen, aber ihr Blick wirkte, als sähe er durch die Wände.

„Tante Maria, Frau Karstens ist gestorben!“ Ganz leise kamen die Worte, fast mühsam. Maria zuckte zusammen.

„Aber nein, Schatz, wir haben sie doch noch gestern gese­hen. Sie ist ganz gesund und munter. Das war ein dummer Traum.“

„Nein, ich weiß es.“ Ganz ruhig sprach sie, abwesend, weiter durch die Wand mit großen Augen schauend. „Sie hat mir gewunken und ist am Sonntag zu Gott gegangen.“

Fassungslos schaute die kleine Frau zu ihrem Mann. „Was das Kind so für Träume hat“, und fast erklärend, „wir ha­ben doch Samstag, ach Quatsch, nun lasse ich mich noch irre machen“.

Frau Karstens war die Großmutter von Achim, Susis neuem Schulfreund, den sie nun schon mehrmals besucht hatte. Immer war seine Oma bei ihnen, gab ihnen leckeren Saft, erzählte lustige Geschichten.

Norbert sprach nun leise mit der Nichte, die sich ganz ent­spannt wieder hinlegte und sofort weiterschlief. Maria kannte so etwas von ihrer Tochter nicht. Anne war immer ein wildes Kind gewesen, aber nur quengelig, wenn sie etwas erreichen wollte. Des Nachts schlief sie, da konnte nichts sie stören. Dieses Kind trug etwas mit sich herum, womit sie nicht richtig klar kam.

Lange dauerte es in dieser Nacht, bis das Ehepaar zur Ruhe kam.

 

Der Kaffeetisch war gedeckt, Tante Rita und Tante Lilo, die Schwestern von Maria sollten jeden Moment eintref­fen, da flog die Türe auf und Marias Schwiegermutter kam rein.

„Stell dir vor, heute Nacht ist Frau Karstens gestorben. Erst 58 Jahre alt, sie lag heute früh tot im Bett.“

Maria saß stocksteif auf ihrem Stuhl. Ungläubig wanderten ihre Blicke zwischen der Älteren und dem Kind hin und her.

„Ich kann es nicht glauben“, kam es ganz heiser über ihre Lippen. „Ich glaube das nicht.“

Auch Norbert starrte auf Susi, die wie ein kleiner Engel mit leuchtenden Augen da saß und fast wie nebenbei meinte „Sie ist zu Gott gegangen, hat sie mir gesagt“.

 

 

 

 

 

 

 

1956

 

Eiskalt pfiff der Januarwind durch die dünnen Fenster­scheiben. Dicke Eisblumen hatten jede Sicht nach draußen völlig genommen. Der Ofen im Kinderzimmer bollerte vor sich hin, brachte die Wärme aber nicht bis an die großen Bogenfenster des riesigen Zimmers.

Susi saß auf Ralfs Bett, das am Fenster stand, und malte mit dem Zeigefinger die wunderbar glitzernden Eisblumen nach. Lange war sie schon wieder zu Hause, aber die Tante, der Onkel und alle anderen, die sie im fernen Letmathe kennen gelernt hatte, waren fest in ihrem Kopf und in ihrem Herzen verankert.

Ihre Gedanken waren weit fort, im Land der Eiskönigin. Um wie vieles mehr konnte sie sich nach dem Besuch in der Tropfsteinhöhle ihr Reich vorstellen, wie liebte sie diese Geschichte. Kinder ohne Eltern … diese Erzählun­gen trafen immer genau ihr Herz. Oft dachte sie darüber nach, dass sie sicher auch keine Eltern hatte. Vati und Mutti waren Menschen, die sie wohl irgendwo verlassen gefunden hatten, denn richtige Eltern liebten ihre Kinder und prügelten sie nicht. Renate war ganz erstaunt gewesen, als Susi sie mal fragte, ob sie oft Schläge bekäme und verneinte dies.

Also lief doch hier etwas ganz verkehrt. Dann wieder wa­ren da die Zeiten, in denen spürte sie die Liebe und die Sorge der Eltern. Auch im gemeinsamen Singen und Spielen, in den Erklärungen der Natur und sicher das eine oder andere Mal auch der Trost der Eltern gaben ihr wieder etwas Sicherheit und es kam Ruhe in ihrem Inneren auf.

Susi schrak hoch, sie hörte Stimmen und ihr fiel die große Freude ein.

WIR ZIEHEN NACH LETMATHE!!! In die Stadt mit dem vertrauten Park, mit dem kleinen Opa, der Oma Weber, Tante Maria und Anne mit ihren vielen Puppen und Büchern und dann natürlich Onkel Norbert.

Vati und Mutti hatten es erzählt. Onkel Norbert hatte Vati eine Arbeit bei einem Bekannten besorgt, der eine große Holzhandlung hatte. Er würde mehr verdienen und sie be­kämen eine nagelneue Wohnung; die gerade erst fertig würde. Herrn Strache und seine Familie hatte Susi schon kennen gelernt, als sie noch bei ihrem Onkel lebte. Alle waren sehr nett gewesen. Und heute sollte der Möbelwa­gen kommen und alles hier abholen, alle Möbel und Kis­ten, die Mutti und Vati in den letzten Tagen gepackt hatten.

Tante Ira hatte sich gestern weinend verabschiedet.

„Du kannst uns doch immer mal besuchen, wenn du Ur­laub bekommst“, erklärte ihr Bruder, doch für sie war das nicht sehr tröstend, hatte sie doch hier nur noch diese ihre Familie, denn ihre Schwester Gitta war auch inzwischen wieder in eine andere Stadt mit ihrer Familie gezogen.

„Mein Mädelchen“, sagte sie zu Susi, so nannte sie sie immer. „Du kommst mich aber in den Ferien immer besu­chen. Ich schicke Vati das Fahrgeld und dann kommst du zu mir und wir machen uns eine schöne Zeit.“

Traurig nickte Susi, denn sie liebte ihre Tante und würde sie vermissen, aber die Erwartung des Neuen ließ alles an­dere klein erscheinen und rückte diesen Kummer in den Hintergrund. Sie begriff nicht, dass diese Trennung von allem Vertrauten endgültig war.

Und nun war es soweit. Heute ging die Fahrt los. Eine neue Wohnung, eine neue Schule, neue Freunde. Ein we­nig ängstlich schossen Susi diese Dinge durch den Kopf. Ob das wohl schön war, dort? Sie würde in eine andere Schule kommen, als während ihrer Besuchszeit, denn sie wohnten dann in einem anderen Stadtteil.

Lange Zeit zum Überlegen blieb nicht. Die Zeit lief weiter und beendete wieder einmal einen kleinen Lebensabschnitt des Mädchens, das voller Erwartung nach Letmathe schaute und überlegte, ob dann wohl wirklich ein ganz neues, schöneres Leben beginnen würde. Sie hatte gehört, wie Vati es zu Mutti sagte, also …

 

Was hatte der Umzug für Trubel gebracht. Erschöpft lehnte sich Amelie auf dem neuen Sofa zurück.

Alles war ganz anders, als in der riesigen, feuchten Berle­burger Altbauwohnung, die mit dem ekligen Geruch neben und hinter dem Haus, den nassen Stellen an der Decke und dem Schimmel zum Glück hinter ihnen lag.

Die Decken waren hier niedriger, die Räume viel kleiner. Dafür gab es ein richtiges großes Wohnzimmer. Für die Kinder mussten sie das Schlafzimmer opfern, denn nur dort passten die vier Kinderbetten, ein Etagenbett, ein Schrankklappbett und ein Einzelbett sowie Schrank und Tisch mit den Stühlen rein. Das Schlafzimmerchen fasste dann auch nur die Ehebetten, Nachtschränke und Frisier­kommode.

Der große Kleiderschrank konnte jetzt im Wohnzimmer stehen. Aber das passte. Ein Wohnzimmer hatten sie bisher nicht gehabt, nur die große Wohnküche. So war nun der Raum auf der einen Seite Wohnecke und auf der anderen Essecke. Der große, alte Eichenausziehtisch, der aus dem Haushalt ihrer Schwiegereltern stammte, fand dort mit ei­ner neuen hellen Eckbank und den Stühlen Platz.

Amelie lächelte. Ihre Mutter hatte ihr Geld ausbezahlt aus einer kleinen Erbschaft ihrer Großeltern. So konnten sie sich die neuen Möbel wie Eckbank, Sofa, Sessel, Tisch und Schrank leisten. Schön hell strahlte das frische Bir­kenholz. Und hell war der ganze Raum. Das Südfenster mit seiner Breite von fast 3 Metern und die Balkontür in der Essecke – ja, einen Balkon gab es, groß und mit Blick über den Rasenplatz hinter dem Haus, über den anschlie­ßenden Holzlagerplatz und dann wieder grüne Flächen, wohl große Gärten ‑ gaben Helligkeit, so viel Licht und Wärme strahlte dieses neue Zimmer aus, dass die junge Frau dankbar die Augen schloss.

Und dann die Küche ‑ sicher, die alte Küche war groß, war auch gleichzeitig Wohnraum gewesen mit einem alten Sofa, das hinter dem Tisch Platz fand, dem Ohrensessel, Rauchtischchen und Radio. Platz war auch jetzt für alle an dem großen Esstisch, verlockend der Gasherd und über­wältigend die Gastherme, die sowohl in der Küche, als auch im traumhaften Badezimmer für wunderbares war­mes Wasser sorgte.

Hatten sie doch vor kurzem noch in der alten Küche in ei­ner Zinkwanne gebadet und mussten dazu das Wasser auf dem großen alten Herd erwärmen.

Platz zum Spielen für die Kinder gab es draußen überall, denn noch standen hier nur wenige Häuser, die Straße war noch nicht befestigt.

Einen Fußballplatz fand man dreihundert Meter weiter, seine Einfassungsmauer konnte man vom Haus aus sehen und dahinter erhob sich eine Weißblechfabrik, die von Zeit zu Zeit ihre beißenden Dämpfe ausspie, die der Wind dann nicht nur auf die anliegenden Felder und in den nahen Wald blies, auch über die kleine Siedlung legte sich von Zeit zu Zeit ein Schleier.

 

Amelie strich sich die Haare aus der Stirn. Ein wenig lockte es sich und machte die manchmal harten Züge wie­der mädchenhaft weich.

Vielleicht konnten sie nun wirklich einen Neustart machen … alles wird nur besser, daran glaubte sie und nach langer Zeit konnte sie wieder einmal lächeln. Hübsch sah sie aus, superschlank und sehr schick gekleidet, trotz der Armut … Wie gut, dass sie auch gelernt hatte, zu nähen. So konnte sie immer mal wieder Kleidung ändern oder aus den Stoffen von Ira etwas schneidern. Für Susi wurde alles genäht. Nur wenige Teile, die sie von Maria bekam, aus denen Anne viel zu schnell heraus gewachsen war, waren wirkliche Schätze, denn das Einzelkind bekam nur fein gesmokte Blusen und Kleider, Röcke, aus weich fallenden Stoffen, Mieze-Hinz war eine Nobelmarke für Kinder. Auch das half immer wieder weiter, wenn die Haushaltskasse sehr knapp war. Und Amelies Mutter, strickte. Für jedes Kind ka­men immer wieder Strümpfe in allen Variationen an. Kniestrümpfe und Söckchen, aus Baumwolle oder Wolle … weiß für sonntags und farbig für die Woche.

Seufzend packte sie nun weiter die Umzugskisten aus, die noch nicht geleert worden waren, denn natürlich musste zuerst das ausgepackt werden, was man zum täglichen Le­ben unbedingt benötigte, und nun füllten sich langsam Schränke und Fächer mit dem Inhalt der übrigen Kartons.

Nach den Ferien ging für die größeren Kinder auch die Schule los. Ralf musste mit der Straßenbahn in die nächste Stadt fahren, wo er dann das Gymnasium besuchte. Matthias nahm sich frei, um den ersten Weg mit dem Gro­ßen zu machen.

Susi kam in die Grundschule der katholischen Gemeinde, auch ein weiter Schulweg, aber so war es nun mal, wenn man am Stadtrand wohnte.

Amelie musste mit den zwei Kleinen Susi zur Schule brin­gen und am Mittag wieder abholen. Das würde anstren­gend sein, aber hier war der Schulweg nicht so einfach und kurz wie in Berleburg, so dass man das kleine Mädchen noch nicht so schnell alleine schicken konnte. Zumindest in der ersten Zeit konnte sie sicher nicht ohne Begleitung auskommen. Im April würde es dann einfacher, denn dann sollte auch Martin, dann siebenjährig zur Schule kommen. Von da an würde ihr am Vormittag richtig viel Zeit zur Verfügung stehen, um Ordnung in die Wohnung zu bekommen, für die Essensvorbereitungen und sie hätte dann auch mal Zeit, mit dem Jüngsten zu spielen. Also kam der kleine Thommi in die alte Kinderkarre, die beiden größeren Kinder fassten rechts und links am Wagen an und nach der Beschreibung, die Matthias ihr gegeben hatte, zog Amelie mit den Kin­dern los. Ein wenig erschöpft kamen sie an der Schule an, sie fand auch gleich den Klassenraum und klopfte.

Herr Recke, der die Schulkinder bis zum 4. Schuljahr be­gleiten sollte, kam aus dem Klassenraum und begrüßte die Frau und die Kinder sehr freundlich.

„Wann muss ich sie wieder abholen?“, fragte die junge Mutter. Er schaute in ihr blasses, erschöpftes Gesicht.

„Einen Moment, Frau Baum…“, mit diesen Worten ging er wieder in die Klasse und kam mit einem Jungen, der Susi etwas überragte, zurück.

„Dies ist Rudi, der wohnt bei ihnen dort oben. Der wird Susi mit nach Hause bringen. Keine Sorge, es sind viele Kinder, die gemeinsam den Weg gehen. So müssen Sie das Mädchen nicht abholen.“

Dankbar lächelte die Frau und verabschiedete sich von dem Kind und seinem neuen Lehrer, der es nun mit in die Klasse nahm.

„Schau Susi, der Platz neben Angelika ist frei. Da kannst du sitzen.“

Aufgeregt schaute sich Susi um. So viele neue Gesichter. Und die Klasse ganz anders, als sie es gewohnt war. Hier gab es nicht die strengen Reihen hintereinander, Pulte mit kleinen Tintenfässern … nein, hier schimmerten die Vierertische noch sehr neu. Wie wahllos in den Raum gestellt erschie­nen sie dem Kind. Aber so konnte man immer mal einen Blick auch auf die anderen werfen, die die „Neue“ neugie­rig betrachteten.

Aufatmend schaute sie nun nach vorn, begierig zu erfah­ren, ob sie genau so viel wusste, wie die neuen Mitschüler.

 

Nach den Schulstunden ergriff Rudi auf Anweisung des Lehrers Susis Hand. „Komm mit, wir gehen nach Hause.“

Hand in Hand gingen sie den weiten Weg zum Stadtrand. Ganz sicher fühlte sich Susi in seiner Obhut. Viele der Kinder hatten den gleichen Weg, der nur bergauf ging, aber Straße um Straße verabschiedete sich eines von ihnen und die letzten zehn Minuten gingen dann die beiden neuen Nachbarskinder allein. Selbstverständlich holte Rudi von nun an morgens das Mädchen ab, anfangs noch Hand in Hand machten sie sich auf den Weg und so kamen sie mittags zurück.

Und so begann ein neuer Abschnitt, wieder einmal, in Susi Leben, voller neuer Erlebnisse und Eindrücke, eingebun­den in die Geschichten, die sie abends ihren kleinen Brü­dern erzählte.

 

Zu Hause war sie dann immer froh, wenn sie sich mit ei­nem Buch zurückziehen konnte. Sie wirkte auf andere ganz ruhig und unauffällig. Fühlte sich oft überfordert von den wilden Spielen und Streitereien der Brüder, wobei Ralf als der Große immer wieder schlichtend eingriff, denn er wusste was passierte, wenn Mutti sich zu sehr ge­stört fühlte. Da hatte sich durch den Umzug nichts geän­dert. So wie letzte Woche erst …

Alle wollten spazieren gehen.

„Komm Susi, nimm Thommi an die Hand und pass auf ihn auf, dass er sich nicht schmutzig macht.“

Gehorsam ging das Mädchen mit dem dreijährigen Wild­fang nach draußen. Aber schon nach wenigen Minuten riss der Bursche sich von ihrer Hand, lief jauchzend los, als sie nach ihm greifen wollte und fiel in eine Pfütze. Voller Schreck sah Susi schon voraus, was passieren würde … angstvoll hefteten sich ihre Blicke auf die Haustür, da … sie öffnete sich und sofort mit dem ersten Blick erfasste die Mutter das Bild, das sich ihr bot. Ein Mädchen, das sich nicht von der Stelle rührte und der Kleine, triefend vor Schlamm, aber noch jauchzend vor Vergnügen, dass die Schwester ihn nicht erwischt hatte. Sie packte ihre Tochter an den langen Zöpfen und zog sie hinter sich her ins Haus, das Kind schrie auf vor Schmerz, aber das war noch gar nichts gegen das, was jetzt folgte. In Sekundenschnelle hatte die Frau den gefürchteten Rohrstock in der Hand, ließ ihn in mörderischem Tanz auf das hilflose Kind, mit den zur Abwehr bereiten, erhobenen Händen niedersausen … noch mal … noch mal … und noch mal … Ein Rau­schen in den Ohren der wütenden Mutter verdeckte das gepeinigte Schreien und die flehentlich hervorgestoßenen Bitten um Verschonung, die Susi benommen von Schmerz kaum noch stammeln konnte … Erst langsam wachte die Frau aus ihrem fast tranceähnlichen Zustand auf. Sie legte den Stock zur Seite, ging taumelnd in das Wohnzimmer und ließ sich schwer atmend auf das Sofa fallen.

Ralf holte einen Waschlappen und wusch seiner Schwester das Gesicht ab, betrachtete entsetzt die blutenden Finger, die der Stock wohl voll mit einem Schlag auf die Finger­nägeln getroffen hatte.

„Komm, halt sie unter das kalte Wasser, das hilft etwas!“

Er versorgte sie und kümmerte sich dann um die kleineren Brüder, den kleinsten umziehend, angstvoll darauf be­dacht, nur keinen Fehler zu machen. Völlig überfordert, denn mit seinen zwölf Jahren war er selber noch ein Kind, suchend nach Liebe und Anerkennung.

Als Susi dann im Kinderzimmer saß, die kleinen Finger umwickelt mit etwas nassem Toilettenpapier, geschüttelt von haltlosem Schluchzen, zitternd und den angstvollen Blick auf die Tür gerichtet, als würde der böse Tanz sich gleich wiederholen, da schrie es in ihrem Inneren, getragen von unbändigem Schmerz: „Hol mich hier weg, hol mich hier weg!!!“

Ohne Namensnennung, aber im Innersten mit der Gewissheit, dem tiefen Glauben, dass nur einer ihr hel­fen könne … Onkel Norbert! Dunkel wurde es um das Kind, es merkte nicht mehr, wie es zur Seite fiel und eine tiefe Dunkelheit es umfing, übergleitend in Schlaf, der mit süßen Träumen alles verdeckte.

Der große Bruder deckte sie wieder einmal, wie so oft zu, sich immer wieder fragend, warum es bei anderen anders zuging. Sicher gab es auch in seiner Klasse Kinder, die ge­schlagen wurden, aber da ging es dann um wirklich große Verfehlungen. Selten genug wurde darüber gesprochen, aber bei seinem Freund, einer Familie mit drei Kindern ging es immer sehr ruhig zu und nie wurde geschlagen … wie oft hatte er mit Karl-Heinz darüber geredet.

Auch das Geld, das er durch das Austragen von Zeitungen verdiente, durfte er nicht als Taschengeld behalten wie sein Freund, sondern gab es zur Familienkasse dazu.

Wie gut, dass die Oma monatlich etwas Geld schickte, welches ausdrücklich als Taschengeld für die Kinder zu verteilen war. So konnte er auch mal von Zeit zu Zeit ins Kino gehen oder am Schulkiosk die ganz neu angekom­mene und von allen so heiß begehrte Coca Cola trinken.

 

 

 

 

 

 

1958

 

Ein wichtiges Jahr für Susi. Spannend, packend … die Erstkommunion.

Wie sehr liebte Susi es, die Geschichten der Bibel zu lesen und zu hören, auch die Erlebnisse der Heiligen und Märty­rer nahmen sie gefangen.

Mit den Schulfreundinnen Betti, Anka, Brigitte und Gabi zog es sie immer wieder in die Kirche, die in direkter Nähe der Schule war.

Majestätisch erhob sich die Pfarrkirche St. Kilian, die im Stil einer neugotischen Hallenkirche zwischen 1914 und 1917 errichtet worden war, ein Wahrzeichen von Letmathe, inmitten der kleinen Stadt. Wegen ihrer impo­santen Größe wurde die Kirche im Volksmund Kilians- oder Lennedom genannt.

Die Kinder knieten sich immer in die erste Reihe. Scheu darauf bedacht, in diesen heiligen Räumen alles richtig zu machen, packten sie ihre Flöten aus und begannen zu spielen und zu singen.

Da die kleine Elisabeth Feldberg, Betti genannt. Ein dunkler, glatter Schopf schmiegte sich in kurzen weichen Strähnen um das runde Gesicht, das auf einem schlanken Hals saß. Ansonsten ein festes, stämmiges Persönchen.

Angelika Schütter, Anka genannt, Metzgerstochter, kräftig mit dunklen, leicht gelockten Haaren, eine Links­händerin, wie Susi schnell feststellte, was sie oft ver­suchte nachzumachen in unbeobachteten Momenten.

Brigitte Wienand, eine von sieben Töchtern des ansässigen Schreiners und Beerdigungsunternehmers, der immer wie­der auf einen Sohn gehofft hatte, war schlank, dunkelbrau­nes wundervoll dickes langes Haar betonte die dunklen Augen, das ebenmäßige Gesicht.

Gabi Wiedenbruch, die anderen Mädchen etwas überra­gend, superschlank, eher etwas dünn zu nennen, mit einem dunkelblonden Pagenkopf.

Da beteten sie gemeinsam, einig im Wunsch, Gott zu ge­fallen, völlig die Zeit vergessend, sich ganz dem Glauben hingebend. Der Küster hatte dies schon oft dem Dechant erzählt, der sich auch mehrfach davon überzeugen konnte, dass hier eine kleine Herde ganz treu den Geboten folgen wollte, ja ‑ Susi meinte sogar, sie könne, wie eine der von ihr so heiß verehrten Heiligen für Jesus auch ster­ben.

 

Und dann das Fest der Erstkommunion … Susi fühlte sich gut, denn eine lange Vorbereitungszeit war allem voraus­ gegangen. Im Laufe der Unterweisungen waren ihr zum ersten Mal Zweifel gekommen, dass ihr Geheimnis mit Onkel Norbert vielleicht gar nicht so ein gutes Geheimnis war - hin und her gerissen, im Innersten gepeinigt von der Frage, welche Sünde begehe ich da??? Was tue ich nun schon wieder Böses? ‑

So kam sie zur ersten Beichte.

Liebevoll befragte der alte, erfahrene Pfarrer das druck­sende Kind, holte mehr und mehr Einzelheiten aus der kleinen Seele, entsetzt über so viel Leid und Erleben dieses Kindes. Völlig überfordert, fast das Beichtgeheimnis has­send, denn er kannte den Onkel, der hier benannt wurde, segnete er das Kind mit den Worten, die sie nie vergessen würde: „ Du hast nichts Falsches und Böses getan, mein Kind. Ich spreche dich frei von jeder Schuld im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Und schon war alles gut.

Susi fühlte sich frei, denn sie hatte nicht das Gefühl, je­manden verraten zu haben, man sprach ja mit GOTT durch den Pfarrer, so hatten Eltern und Lehrer es ihr beigebracht, und GOTT konnte und sollte man alles sagen. So leicht und froh hatte sie sich lange nicht gefühlt, also war nichts falsch, also war es richtig, was sie machte, also musste sie den Onkel trösten und ihm helfen, wenn er mal wieder seine seltsamen Schmerzen hatte … der Pfarrer musste es ja wissen.

Und dann der wichtige Tag …

Voller Staunen sah Susi sich im Spiegel. Das wunder­schöne, weiße Kleid kam als Geschenk ihres Patenonkels, den sie nie gesehen hatte, von dem immer nur an Geburts- und Festtagen Geschenke kamen, für die sie sich brieflich bedankte.

Weißbestrumpfte, lange, schlanke Beine steckten in herr­lich glänzenden Lackschuhen, die von einem Fesselriemen gehalten wurden. Die Zöpfe waren heute nicht geflochten. In weichen Wellen umfloss das glänzende Haar die schlanke Gestalt und reichte bis zu den Oberschenkeln, nur gehalten von einem kleinen weißen Kranz, der das Gesicht frei hielt.

Ich sehe wie eine Prinzessin aus, dachte das Kind und ver­sank, wie so oft, in seine Träume, die es fort trugen, aus diesem Haus, es in ein Märchenland versetzten, wo es im­mer friedlich und fröhlich zuging.

Alles glitt nun an ihr wie im Traum vorbei.

Die Prozession von der Schule, dem Treffpunkt, zur Kir­che, die Orgel, die wunderbare Klänge hervorbrachte, ein einziger Lobgesang, die brennenden Kerzen, die die Kin­der trugen, der Gang nach vorne zum Altar, der Empfang der Hostie … Susi glaubte zu schweben, versunken in An­dacht und Traum nahm sie kaum noch etwas wahr. Dann das Essen mit den Verwandten, Geschenke, Fotos, abends noch mal Kirche … Susi sah mit glänzenden Augen auf alles, was um sie herum war, wähnte sie sich doch auf ei­nem Schloss und genoss das wunderbare Hofzeremoniell.

Und zwischendurch, keiner vermisste sie, verschwand sie im Schlafzimmer, um sich vor dem Spiegel der Frisier­kommode der Eltern zu drehen und zu bestaunen.

Und dann wurde es ihr wieder einmal klar, sie WAR eine Prinzessin, man hatte sie bestimmt mal geraubt und ihre echten Eltern suchten sie verzweifelt. Aber ganz sicher würden sie sie finden. Und sonst würde sie sie suchen, wenn sie groß wäre und genug Geld verdienen würde … und dann …

 Schnell lief die Zeit und die Sommerferien begannen. Eine ganz neue Erfah­rung für Susi und Martin, denn sie waren angemeldet für die Stadtrand-Erholung, ausgerichtet von der katholischen Kirche und der Caritas.

Früh am Morgen trafen sich die Kinder, zwischen sechs und vierzehn Jahren alt, an verschiedenen Treffpunkten und wanderten gemeinsam mit einer Betreuerin zu den lang gestreckten Gebäuden, Holzhäusern am anderen Ende der Stadt, die die verschiedenen Gruppen in den Ferien tagsüber aufnehmen sollten. Eine herrliche Gemeinschaft, da wurde musiziert, dort vorgelesen, dann wieder eine Schnitzeljagd veranstaltet. Immer waren Angebote für je­des Wetter vorbereitet, die die freiwilligen Helfer voller Geduld mit den Kindern ausübten. Auch wurde gebetet und ge­sungen, sehr zu Susis Freude, denn Lieder jeder Art liebte sie sehr und mehrstimmig gesungen wurde auch zu Hause.

Bei der morgendlichen Ankunft warteten schon Milch, Tee und Marmeladenbrote auf die hungrigen Mäuler, Mittags gab es deftiges Essen und am Nachmittag, nach einer Ruhepause für alle Brote mit Marmelade und Tee oder Milchkaffee dazu. Ja, dann die Ruhepausen, welches Leben tat sich da für die Größeren auf, wurde doch, während alle auf den Liegen in Decken gehüllt lagen, die Kleineren schliefen, von dem einen oder anderen Betreuer vorgele­sen. Die Abenteuer von Pipi Langstrumpf, von einem Räuber Juppi-Juppi, von dem dann auch noch ein Lied gelernt wurde, von dem doppelten Lottchen, dem fliegen­den Klassenzimmer und Pünktchen und Anton. Fang- und Ballspiele, Wanderungen und Bastelnachmittage boten Abwechslung, am Abend zogen alle singend heimwärts.

Völlig erschöpft fielen die Kinder zu Hause dann in die Betten, aber glücklich erschöpft, hatte doch der Tag wieder so viele wunderbare Erlebnisse bereitgehalten.

Auch Amelie genoss diese freie Zeit, hatte nur den kleinen Thommi um sich, Ralf traf sich mit Freunden. Sie lag gerne auf dem Balkon in der Sonne, las ein Buch oder traf sich mit der einen oder anderen Nachbarin zu einem klei­nen Plausch,  sie entspannte sich.

Doch auch diese schöne Zeit endete, aber nicht einfach so, sondern mit einem Sommerfest, zu dem sich die Kinder verkleideten nach dem Namen ihrer Gruppe. Susi war in der Rotkäppchen- und Martin in der Fuchsgruppe.

So setzte sich Amelie immer wieder hin und schneiderte für dieses Ereignis für Susi aus Krepppapier ein rotes Mützchen und einen roten Rock, eine weiße kleine Schürze besaß sie. Voller Stolz drehte sie sich, als der Tag da war. Ein kleiner Korb vervollständigte das Bild. Martin aber tobte und heulte. „Das ziehe ich nicht an, das will ich nicht, das sieht schrecklich aus, alle werden lachen!“ Amelie hatte ihren Fuchspelz von einem Mantel gelöst, ihn mit Bändern versehen und dann dem Sohn so umgebun­den, dass der Fuchskopf akkurat den Kopf der Kleinen be­deckte, die Beine und der Körper waren an den entspre­chenden Körperteilen des Trägers befestigt. Aber er wü­tete, wollte so nicht laufen.

„Gut, dann bleibst du zu Hause“, war die kategorische An­sage der Mutter. Als Susi sich allein auf den Weg machen wollte, entschloss er sich dann doch mitzugehen.

Welch ein Triumph für ihn, umstanden doch Groß und Klein den Jungen und bewunderten den echten Pelz. Die meisten aus seiner Gruppe hatten nur Ohren aus Pappe und waren geschminkt. Er sonnte sich in der Bewunderung und es war keine Rede mehr von dem Aufstand, den er am frü­hen Morgen noch gemacht hatte.

 

                                              *

Sonntag, Kinozeit!

Wieder einmal hatten die Kinder sich einen Kinobesuch erbettelt und verdient. Durch Abwaschen und andere Hausarbeiten erarbeitet bekamen nun die Kinder immer sonntags einen Teil ihres Taschengeldes ausgezahlt, das die Oma monatlich schickte.

Doch plötzlich große Aufregung. Martin vermisste seine fünfzig Pfennig, die er, wie er immer wieder beteuerte, auf den Küchenschrank gelegt hatte.

Alle suchten, doch das Geldstück blieb verschwunden.

„Thommi war zuletzt in der Küche, er muss es weg ge­nommen haben, ja, ganz bestimmt war er es!“, heulte der Junge los.

„Thommi, komm her! “ Sehr streng kam der Ruf beider Eltern und der Kleine zuckte zusammen.

„Ich habe es nicht gesehen, ich war das nicht!“, weinte er gleich los. Völlig verängstigt stand der zierliche, noch sehr kleine Fünfjährige vor den für ihn riesig erscheinenden Erwachsenen. Susi und Ralf saßen wie versteinert am Kü­chentisch.

„Wo hast du das Geld hin getan?“ Drohende Blicke, Schärfe in der Stimme. Thommi schluchzte. „Aber ich habe es nicht, ich war es doch wirklich nicht.“

„Fang nicht an zu lügen. Martin hat dich da zuletzt gese­hen, sag die Wahrheit, dann passiert nichts, also …?“

Schon griff die eine Hand nach dem Kind, die andere auf den Schrank. Thommi zuckte zusammen. Da lag der Rohr­stock und schon schwebte er riesig über ihm.

Voller Angst und ohne nachzudenken schrie er auf: „Ich habe das Geld hinter den Kleiderschrank im Kinder­zimmer geworfen!“

Susi und Ralf atmeten auf, das Schlimmste war überstan­den, denn nun war es heraus und er bekam keine Schläge, war ja versprochen. Aber das Geld war wohl futsch. Der riesige, zweieinhalb Meter lange Kleiderschrank konnte ja nicht wegbewegt werden. Aber das war falsch gedacht. In aller Ruhe begannen Matthias und Amelie nun, den Schrank leer zu räumen und so weit zu demontieren, dass sie ihn bewegen konnten. Doch kein Geldstück wurde ge­funden, weder auf, noch hinter, noch unter dem Schrank.

Dass Thommi dies nur heraus geschrieen hatte, weil er Angst vor den drohenden Prügeln hatte, darauf war nie­mand gekommen.

„Wo ist das Geld, wo hast du es gelassen?“

Mit hartem Griff wurde nun das „Ich war es nicht, ich war es nicht!“ schreiende, sich windende Kind festgehalten, die Hose heruntergezogen, und der bösartig zischende Rohr­stock fraß brennende Male in die zarte Haut des nun nur noch wimmernden Jungen, der nicht mal mehr die Kraft hatte, weiter seine Unschuld zu beteuern.

Völlig verängstigt saßen die größeren Geschwister lange am Bett des Kleinen, der völlig zusammen gekrümmt dort lag und in sich hinein schluchzte, keine Ohren für die tröstenden Worte der Schwester, die ihn sonst immer mit ihren Geschichten erreichen und beruhigen konnte.

„Martin, du hast gelogen, du bist richtig bösartig, dass du jemanden so anschwärzt und du weißt, dass du gelogen hast!“ Ralf stand vor dem etwas jüngeren Bruder, den es kein bisschen berührte, was dem Jüngsten widerfahren war, ganz im Gegenteil, ein leichtes Lächeln hatte die ganze Zeit um seine Mundwinkel gespielt. Für ihn war nur wichtig, dass er der Gute war, der keine Strafe zu erwarten hatte.

Am Abend fand sich beim Tischdecken das Fünfzigpfen­nigstück in der Besteckschublade, in die es wohl mittags durch was auch immer gerutscht war. Es wurde nicht mehr erwähnt und auch Thommi wurde von den Eltern nicht  auf die ungerecht erhaltenen Prügel angesprochen. Nein, Entschuldigungen gab es nie, sondern „Dann ist es für etwas, was noch nicht bestraft wurde“, das war schon diverse Male gesagt worden, wenn sich herausgestellt hatte, dass ein Kind unschuldig bestraft worden war. Er flüchtete sich in der Nacht wie so oft in das Bett der gro­ßen Schwester, um, an sie geklammert, ihren Geschichten zu lauschen und mit ihr Träume auszuspinnen, über die der pragmatische Martin nur lachte.

 

Von Zeit zu Zeit kamen Onkel Norbert und Tante Maria zu Besuch und manchmal gingen auch sie alle zusammen dorthin.

Onkel Norbert nahm Susi immer sehr liebevoll, aber völlig unauffällig für die anderen Erwachsenen, in den Arm und küsste sie auf die Stirn oder die Wangen.

„Du erinnerst dich an unser kleines Geheimnis und wirst es auch sicher keinem verraten?“, flüsterte er ihr dann ins Ohr und sie nickte ernst. Natürlich erinnerte sie sich und das Geheimnis war auch bei ihr gut aufgehoben. Aber ein wenig fürchtete sie mittlerweile die Besuche bei den Ver­wandten. So sehr sie einerseits die liebevolle Zuwendung, das Verwöhnen, die Ruhe und die vielen Bücher liebte, so sehr fürchtete sie auch den Schmerz, der mit dem Allein­sein mit dem Onkel verbunden war. Hin und her gerissen war sie in ihren Gefühlen. Ja, wenn er sie streichelte und kleine Küsschen auf den Bauch gab, das war schön, das kitzelte etwas, aber so oft waren sie alleine, weil die Tante Einladungen hatte und die Nichte in guter Obhut, wie sie glaubte, zurückließ. Dann versuchte Susi immer krampf­haft zu lesen, wohl wissend, was dann kam und immer kam die leise Aufforderung: „Komm, Püppe, lass das Buch, ich brauche dich gegen meine Schmerzen.“ Und folgsam reagierte sie und ließ geschehen, dass er sie aus­zog, sie küsste und ihr seine Zunge in den Mund schob, was sie nass und eklig fand, doch wenn er vordrang mit seinen Fingern, dann schaltete sie ab.

Engel, Schutzengel, Engel, du solltest mein Schutz sein, sagte der Pfarrer, lass die Schmerzen vergehen … an der Decke ist ein Spinngewebe, ich werde es Tante Maria zei­gen … ob ich das Buch von Anne lesen darf? Grittlis Kin­der, das Bild war so schön auf der Vorderseite … es tut weh, es tut weh … atme, hol Luft, denn gleich hast du keine mehr, du weißt es … ich will ins Kino, ob wir ‚Das singende, klingende Bäumchen’ sehen dürfen? … Ich will, dass er aufhört, es tut weh, er stöhnt so furchtbar, also sind seine Schmerzen schlimmer, dann muss ich nur still­halten, ihm helfen …

 

Und doch ging sie wieder und wieder hin, denn wenn der Onkel arbeiten musste, dann war es wie der Himmel auf Erden. Mit der geliebten Tante durfte sie backen, kochen oder auch tanzen. Dann wurden Schallplatten aufgelegt, deren Texte sie beide und oft auch Anne lauthals mitsin­gen konnten.

„Wo meine Sonne scheint und wo meine Sterne stehn, da kann man der Hoffnung Glanz und der Freiheit Licht in der Ferne sehn …“ Wie schön das klang, Hoffnung Glanz, Freiheit, Licht, wenn Catherina Valente, von der Tante Maria so viele Platten besaß, dieses Lied schmetterte. Und dann war aller Schmerz, aller Kummer weggewischt, nicht mehr da, vergessen ‑ oder doch nicht?

Manchmal sah Susi ihre Tante an, wie sie so fröhlich und munter sang und tanzte, dann überlegte sie, ob diese denn nie etwas merkte, wieso er sich nicht verriet, warum sie immer das Geheimnis bewahren sollte, vielleicht könnte die Tante ihm ja besser helfen bei seinen Schmerzen. Und immer wieder war sie versucht, die Tante zu fragen, aber gehorsam, ja das Geheimnis zu hüten, wagte sie es dann doch nicht.